DER EWIGE STENZ

Boris Wanke könnte gemütlich durchs Leben steuern, aber dazu hat er nicht den richtigen Wagen. Hinter seiner Berliner Wurstbude parkt ein roter Mercedes 190 SL. Dieses Cabriolet verlangt nach Action. Es ist wie geschaffen für Wankes erotische Abenteuer- Touren...

Meine Freunde nennen mich Bouletten- Bolle. Sie sind neidisch, weil ich immer schon die besten Autos, die schönsten Frauen und den vollsten Geldbeutel hatte. Das liegt an meinem Charme und an meiner Currywurst-Bude in Berlin- Charlottenburg. Sie ist ein Selbstläufer, weil sie die kulinarischen Träume der Berliner erfüllt: Currywurst, wahlweise auch in Bio-Qualität, Knacker, Kartoffelsalat, Pommes und meine berühmten Bouletten. Die macht mir keiner nach, aber Bouletten-Bolle lasse ich mich trotzdem nicht gerne rufen. Schon gar nicht von den Schnarchnasen, die vorgeben meine Freunde zu sein, aber in Wahrheit nur meine Frauen und mein Cabriolet wollen: einen roten Mercedes 190 SL. Mein bayrischer Freund Alois nennt mich einen Stenz und bedauert meine Gattin. Mein Wiener Freund Erich behauptet, Stenz wäre in seiner Stadt ein Synonym für Penis und dieses entscheidende Körperteil dürfe man keinem Mann vorwerfen.
Nur Charly sagt dazu nichts, weil er den Mund ausschließlich dann vollnimmt, wenn ich eine Runde Bouletten mit Bier ausgebe. Wen wundert es also, dass ich die Gesellschaft von Frauen vorziehe, auch die meiner Gattin Elise von Krempel. Bei der Hochzeit bestand sie darauf ihren Namen zu behalten. Elise Wanke hätte ihr zu gewöhnlich geklungen. Als Elise und ich uns kennenlernten, studierte ich Philosophie an der Humboldt-Universität, stellte aber gerade noch rechtzeitig fest, dass sich Bouletten besser verkaufen als ein gebildeter Geist. So konnte ich die Wurstbude von dem Mann übernehmen, bei dem ich seit meinem zwölften Lebensjahr Geld verdiente: August Knolle. Nur sein Cabrio wollte er mir nicht überlassen, ich musste mich um ein eigenes kümmern und verliebte mich in einen roten Mercedes 190 SL, Baujahr 1962. Mit so einem Wagen lassen sich nicht nur Rallyes gewinnen, sondern auch Frauenherzen. Auf Letztere kam es mir besonders an. Elise und ich sind in diesem Wagen zum Standesamt gefahren. Es war eine Liebesheirat. Mit Vernunft war diese Ehe von Anfang an nicht zu rechtfertigen. Wir passen in fast keinem Punkt zusammen, deshalb wackelt unser Ehebett immer noch regelmäßig und bei Tageslicht tolerieren wir uns ohne viel Geschrei. Kinder haben wir keine, dafür eine Wurstbude und einen Hutladen in der Fasanenstraße. Elise ist Modistin, aber meine frischen Bouletten verkaufen sich besser als ihre alten Hüte. Leider setzt Elise mit Überzeugung auf, was sonst niemand tragen will. Entsprechend eigenwillig behütet, besucht sie mich regelmäßig in ihrer Mittagspause, um sich zu vergewissern, dass ich nur auf dem Grill nichts anbrennen lasse. Manchmal speist sie eine Bio-Currywurst. Elise hat mich zur Öko-Qualität gezwungen. Widerstand war zwecklos und inzwischen verbrate ich nur noch Bio-Würste, weil sie besser schmecken, aber das verrate ich auf meiner Speisekarte nicht. Schließlich will ich Knolles alte Stammkunden nicht vergraulen, die Bio kategorisch ablehnen, weil sie glauben Bio wäre am Prenzlauer Berg von den Schwaben erfunden worden. Diese Herrschaften essen bei mir ökologisch ohne es zu ahnen, dafür loben sie den Geschmack. Ich liebe mein Geschäft, was allerdings weniger an den Würsten als vielmehr am Parkplatz hinter dem Laden liegt. Hier parkt mein Cabriolet. Elise bringt es regelmäßig auf den Punkt, wenn sie mir vorwirft: „Boris, du hast nur zwei Seiten: Vorne deine Wurstbude, hinten dein Cabriolet.“ Vielseitiger muss ein Mann nicht sein, finde ich.
Mein Leben hat alle Voraussetzungen für eine gemütliche Existenz, aber dazu hat mein Stenz keine Neigung. Er sucht das Abenteuer, das größte von allen: die Frauen. Mit Elise hat das nichts zu tun. Sie ist mir seit 15 Jahren treu und damit auch ihrer Hoffnung, „aus mir könnte noch etwas anderes werden als Bouletten- Bolle.“ Sie betrachtet es als ihre eheliche Pflicht, mich vom unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter nach oben zu schieben. Das untere Ende ist ihrer Meinung nach genau der Ort, an dem meine Curry-Wurst-Bude steht, deren Namen sie genauso hasst wie Fettgeruch. Dabei habe ich Elise zu Ehren mein Geschäft von „Knolles Knacker“ in „Ein Knacker für Elise“ umbenannt. Es war mein Hochzeitsgeschenk. Elise hat es nicht geschätzt. Frauen können so humorlos sein – und undankbar. Diese weiblichen Wesenszüge lassen sensiblen Männern wie mir nur einen Ausweg: Die Flucht nach vorne – in gute Hände. Welche zu dieser Kategorie gehören, erkenne ich an der Art, wie sie Currywürste behandeln, Buletten anpacken, zwischen die Lippen schieben und sich anschließend das Ketchup aus den Mundwinkeln lecken. Carola wirkte schon beim Bestellen ihrer Bio-Currywurst unbeholfen. Sie kam aus Münster, um sich drei Monate als Praktikantin eines Galeristen ausbeuten zu lassen. Ihre Hände zitterten bei dem Versuch, ein mundgerechtes Stück Wurst aufzugabeln. Vermutlich lag ein harter Arbeitstag hinter ihr: Kaffee kochen, den Chef bewundern und blöde Bemerkungen von selbsternannten Kunstkennern ertragen. Mein erster Eindruck war trotzdem vielversprechend: Blonde Locken unter braunem Haaransatz, eine Gesichtshaut, die ihre Spannung noch zehn Jahre halten könnte, dann wäre sie schätzungsweise Ende 30 und sollte jemanden gefunden haben, der Falten als Ausdrucksmittel des Lebens schätzt. Unter ihrer engen weißen Bluse zeichnete sich Körbchen Größe C ab oder eine Mogelpackung namens Wonderbra. Viel mehr konnte ich über die Theke nicht erkennen, ohne unhöflich zu sein. Trotzdem war die junge Dame soeben auf meiner erotischen Wunschliste gelandet. Das Wetter kam ihr dabei zu Hilfe: Es war Sommer und meine Frühlingsgefühle noch lange nicht aufgebraucht, obwohl ich bereits seit neun Uhr morgens am Grill stand. Bald würde mein Freund Alois die Nachtschicht übernehmen. Er hat ein gutes Gefühl für Würste und Bouletten, weil er in einer bayrischen Metzgerei aufgewachsen ist. Den elterlichen Betrieb überließ er trotzdem seinem jüngeren Bruder um in der Hauptstadt eine Filmkarriere zu starten. Sein größter Erfolg war bislang ein Auftritt als Anwalt mit Verstopfung in einem Werbeclip für Abführmittel. Mit Nachtschichten in „Ein Knacker für Elise“ finanzierte er seinen Lebensunterhalt. Wir schließen um fünf Uhr morgens. Da sollte Carola schon längst verschwitzt und glücklich in meinem Cabriolet sitzen, aber noch bastelte ich in meinem Kopf am ersten Satz. Er war entscheidend. Ich sah auf meine „Breitling for Bentley“. Die Uhr habe ich mir zum 50sten Geburtstag gekauft. Jetzt war sie ein Jahr alt und zeigte, dass ich mich beeilen musste, bevor Alois kam und von meiner „reizenden Gattin Elise“ erzählen würde.
Derartige fiese Manöver sind dem Sauhund immer dann zuzutrauen, wenn er selbst seit Wochen keinen unbezahlten Stich mehr gemacht hatte. Momentan führt ihn nur die Straße des 17. Juni zur sexuellen Erleichterung, weil sich dort die Frauen aufstellen, die genauso unglücklich sind wie Alois. Für ein ordentliches Bordell ist er zu geizig. Es gibt Männer, die sparen am falschen Ende. Ich gehörte nicht dazu. Das würde ich gleich beweisen. Der erste Satz sollte ein Sieg werden.
„Schmeckt Ihnen meine Currywurst nicht?“, fragte ich so besorgt wie es mir – angesichts meiner Aussichten – möglich war und suchte dabei ihre Augen. Gleich am Anfang tiefe Blicke zu versenken ist das Geheimnis einer gelungenen Verführung. Frauen fantasieren gerne von Seelen, die sich berühren. Ich bin mit Körperkontakt zufrieden. Wenn ich dafür einen Umweg über die verschlungenen Pfade der Seele auf mich nehmen muss – nun gut. Hauptsache er führt den Stenz zum Ziel. „An Ihrer Currywurst liegt es nicht“, antwortete meine künftige Seelenverwandte und brach in Tränen aus.
Was für eine Eröffnungsszene! Von so einer Steilvorlage können Herta BSCFans nur träumen. Ich stürmte nach vorne, öffnete einen Piccolo und schob ihn mit einem harmlosen Lächeln über die Theke. „Für den Kreislauf und für die Seele.“ Ein zweifelnder Blick von der anderen Seite verlangte nach einer sofortigen vertrauensbildenden Maßnahme.
Ich versuchte es mit einer Serviette. „Für die Nase“, sagte ich väterlich. Die Papa-Attitüde ist ein billiger Trick, der sich immer wieder bezahlt macht. Der Beweis: Sie lachte. Gewonnen! Der Rest gelang leichter als die perfekte Boulette, weil ich meine Zuhörerqualitäten ausspielte und vom Prosecco-Piccolo auf Champagner umstieg. „Momentan meine einzige Möglichkeit, um meine gesteigerte Wertschätzung auszudrücken“, zwinkerte ich Carola zu. Wir waren inzwischen beim Du. Als Alois endlich ankam, war sie scharf – auf eine Stadtrundfahrt in meinem Cabriolet. Wir stiegen ins Vorspiel ein. Interesse! Interesse! Interesse! Das brauchen Frauen, um in meinem 190 SL auf Touren zu kommen. Also bat ich sie, mir ihre Galerie zu zeigen und chauffierte sie mit offenem Verdeck durchs abendliche Berlin. Der Berufsverkehr hatte sich bereits auf die Hotels verlagert und wir hatten freie Fahrt, bis Carola versuchte, mich auszubremsen. „Du trägst einen Ehering“, stellte sie vorwurfsvoll fest. Aus Erfahrungen war ich klug geworden und wusste: Die beste Strategie ist es, Loyalität gegenüber der eigenen Frau zu zeigen. „Ich bin verheiratet.“
Kleine Pause, danach umso wirkungsvoller der Zusatz: „Mit einer wundervollen Frau.“
„Warum sitzt du dann mit mir in deinem Cabriolet?“
„Eben darum. Sonst hätte ich schon längst versucht, uns in eine andere Position zu bringen.“ Das würde ihre Phantasie befeuern, während ich dazu überging, den perfekten Stadtführer zu spielen und auf die Sehenswürdigkeiten links und rechts der Straße hinwies. „Habt ihr noch Sex miteinander?“ unterbrach mich Carola. Moderne junge Frauen sind glücklicherweise sehr direkt. „Meine Frau besteht auf ihre Orgasmen und ich weiß am besten, wie sie welche bekommt.“ Die Frage, ob sie vergeben sei, ersparte ich mir. Sie würde sie ohnehin gleich selbst beantworten. Er war Informatiker, hieß Jens und war leider etwas verklemmt. Was sonst sollte ich aus dem Prädikat „ein feiner Kerl“ schließen? Leidenschaft klingt anders. Ich war auf einem guten Weg. „Sex wird überschätzt“, meinte meine Beifahrerin und ließ ihren Rock nach oben rutschen. Schöne Beine. Leicht gebräunt. Ich schob den Stoff zurück bis zum Knie. „Guter Sex kann gar nicht überschätzt werden“, sagte ich. Bald würde sie wissen, was ich darunter verstand. Vielleicht konnten wir auf die Galerie-Besichtigung verzichten. Nein. Konnten wir nicht. Wir kamen gerade an. Ich parkte meinen Mercedes direkt vor dem Schaufenster. Handschellen, Masken, Peitschen – es sah aus, als wäre der Galerist Hardcore-Shoppen bei Beate Uhse gewesen. „Hast du hier dekoriert?“, fragte ich und Carola erzählte mir von einem amerikanischen Künstler, der gerade total angesagt sei, weil er Sex als Zugang zur Welt verstehen würde. Endlich ein vernünftiger Kreativer, dachte ich. Es war an der Zeit, dieser Frau eine neue Welt zu eröffnen. Mein Stenz war schon lange in Startposition. „Hast du einen Schlüssel?“ Sie hatte. Jalousien gab es auch. In den nächsten zwei Stunden entwickelte ich mich zum Kunstliebhaber. Als wir wieder in mein Cabriolet stiegen, seufzte Carola: „Du bist ein Künstler.“ Womit wieder einmal bewiesen wäre: Mein reges Liebesleben, die diversen Affären und intensiven Erfahrungen kommen vor allem den Frauen zugute. Von nichts kommt nichts. Das gilt erst recht für das weibliche Geschlecht.
Leider kam Carola am nächsten Tag etwas zu früh und traf in der Mittagspause auf meine Gattin, die ihre neueste Kreation ausführte: einen Hut, der sich wie eine Banane über dem Kopf krümmte. Das Ende der Geschichte ist schnell erzählt. Die beiden Frauen mochten sich auf Anhieb, Elise schenkte Carola die Banane und Berlins Kunstkritiker waren vom Realismus der amerikanischen Installation begeistert: Selbst an Spermaspuren hatte der Künstler gedacht.
Carola entschloss sich, von Kunst auf Mode umzusatteln. Sie absolvierte ein Praktikum in Elises Hutmacherei und beendete unsere Affäre aus Gewissensgründen. Frauen sind grausam. Zum Glück kann ich mich wenigstens auf mein Cabriolet verlassen.