BORIS BECKER ÜBER LEIDENSCHAFT

Wie kein anderer Sportler hat Boris Becker die Herzen der Menschen bewegt. Sie gewannen mit ihm Wimbledon; sie litten, wenn er den Matchball verschlug. Noch heute verbindet die Öffentlichkeit mit ihrem Idol vor allem eines: Leidenschaft.

Herr Becker, die Welt kennt Sie als Menschen, der Wut und Begeisterung deutlich ausdrückt. Empfinden Sie Ihre Leidenschaft als Lust oder Last?
Starke Emotionen sind meine Stärke und gleichzeitig meine Achillesferse. Sie sind eine Frage des Charakters. Ich bin eben ein leidenschaftlicher Mensch. Leidenschaftliche Menschen sind weniger ängstlich. Es gibt natürlich Situationen, in denen man ein bisschen Angst oder zumindest Respekt haben sollte. Aber wenn es darauf ankommt, darf man nicht zu viel nachdenken.

Ist Leidenschaft somit die Voraussetzung für Höchstleistung?
Absolut. Leidenschaft steht am Anfang jedes Erfolges.

Wie würden Sie Leidenschaft definieren?
Indem ich das Wort in „Leiden“ und „schaffen“ teile, in seinen negativen und positiven Aspekt. Man leidet, weil man etwas nicht bekommt oder etwas erhofft. Hier kommt das „Schaffen“ ins Spiel. Man will das Erhoffte erreichen, erzwingen. So kehrt sich das Leiden ins Positive. Im übrigen haben Frauen dieses Wort erfunden, kein Mann.

Welche Gefühle folgen der Leidenschaft?
Alle. Die größte Freude und der tiefste Schmerz.

Ist Leidenschaft die Basis für ein intensives Leben?
Sie ist überhaupt die Voraussetzung zu leben. Leidenschaftslose Menschen leben nicht. Sie verschenken ihr Leben.

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Empfinden Sie Ihren überwältigenden Erfolg in jungen Jahren heute als Fluch oder Segen?
Beides. Ich habe erreicht, was noch keiner erreicht hat. Und dabei hatte ich nicht nur meine „15 minutes of fame“, sondern einen unglaublichen Lauf über zehn, zwölf Jahre. Aufgrund dieses Erfolges kam ich in eine ganz große Schublade, die man Image nennt. Vielleicht habe ich deshalb eine Affinität zu Menschen anderer Hautfarbe oder Religion, die mit Vorurteilen kämpfen müssen. Denn wenn ich einen Raum betrete, kommt erst mal mein Image mit allen Vorurteilen rein und später ich. Genauso geht es dem Schwarzen. Kommt er in den Raum, ist er zunächst einmal schwarz. Die Persönlichkeit wird oft gar nicht wahrgenommen. Genauso wie mein Wandel zwischen 17 und 30.

In dieser Zeit haben Sie vieles erreicht. Was treibt Sie heute an?
Nach meiner Karriere als Sportler war ich Anfang 30. Da wollte ich mich nicht damit abfinden, dass das schon alles sein sollte. Ins Fernsehen zu gehen, war für mich ein logischer Schritt. Schließlich bin ich damit groß geworden, wenn auch auf der anderen Seite. In der Zeit habe ich gelernt, welche Fehler Journalisten machen können, zum Beispiel, wenn sie zu selbstverliebt sind. Außerdem fasziniert mich das Medium Fernsehen als solches, weil ich am eigenen Leib erlebt habe, wie sehr Bilder lügen können.

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Ihre Autobiografie trägt den Titel „Augenblick verweile doch . . .“ Das klingt melancholisch, fast sentimental. An welchen Augenblick haben Sie gedacht?
Es geht um mein Leben, da möchte ich keinen Tag missen. Es geht um jeden Augenblick. Heute genauso wie vor zehn Jahren.