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Text ERIKA THIMEL
Fotos UTE SCHUCKMANN
erschienen in PREMIUM
(int. Kundenmagazin von Jaguar,
Aston Martin, Land Rover und Volvo) |
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DER RENAISSANCE-MENSCH
Seine Kunst steht in Palästen, seine Inspiration findet er im Busch:
Der südafrikanische Bildhauer Dylan Lewis fühlt mit den Tieren.
Seine klassischen Arbeiten, die sich vor allem durch die lebensnahe
Nachbildung von Raubkatzen definieren, sind ein Angriff auf die Welt
moderner Kunstgemüter. Trotzdem oder gerade deswegen haussiert
die Aktie Lewis. Ein Werkstattbericht.
Er ist der Leopard, der Gepard, der Tiger.
Unter seinem Fell kämpfen Widersprüche,
Gegensätze, Extreme. Sie sind
die Quelle seiner Kreativität und sein Lebenselixier.
Dylan Lewis ist die Raubkatze. In Stellenbosch,
nahe Kapstadt, gießt der 37-Jährige
seine Kraft und seine Gefühle in Bronze, um
sie dann vornehmlich in Form von Panthern und
Geparden auf den Markt zu bringen.
Lewis ist ein Künstler – und ein Vermarktungskünstler.
Zu seinen Kunden zählen Prinz
Andrew, George W. Bush und Nelson Mandela.
In Lewis’ Büroschränken reihen sich Titel
wie „The McKinsey Way“ oder „Surviving
Success“ aneinander. Er betrachtet sie als
Seiten seines Managerlebens und hält sie von
seinem Künstleratelier auf der weitläufigen
Mulberry-Farm fern. Die Farm ist Atelier,
Wohnhaus, Büro und Ausstellungsfläche in einem,
gleichwohl sind alle Bereiche voneinander
getrennt. „Ich bin ein Mann der Extreme,
entweder ganz Künstler oder ganz Marketing-Mann. In der Mitte fühle ich mich nicht wohl.
Deshalb konzentriere ich mich immer nur auf
eine meiner beiden Seiten“, sagt Lewis. Seinen
langsamen, leisen Worten ist anzuhören, wie
unwohl sie sich in der Außenwelt fühlen und
wie sehr sie es gewohnt sind, im Kopf des
Künstlers zu verweilen. Die Aufgabe von Wörtern
übernehmen im Leben des Dylan Lewis
üblicherweise die Hände. Vielleicht drückt er
sie deshalb so fest und auf ewig sichtbar in die
Oberfläche seiner ansprechenden Skulpturen,
wenn er ihnen zunächst mit Ton oder Gips
eine erste Hülle und eine vorläufige Aura gibt.
Lewis’ Karriere als Bildhauer beginnt mit dem
plötzlichen Herzstillstand seines Vaters im Jahre
1989. Bis dahin studiert der Sohn Kunst in
Kapstadt. Nebenher präpariert er tote Tiere
und malt Landschaften. Darüber hinaus lässt
er sich von seiner Liebe zur Tierwelt und bergigen,
rauen Landstrichen durchs Leben treiben.
„Ernsthaft auf Kunst, speziell auf Bildhauerei,
habe ich mich erst nach dem Tod
meines Vaters eingelassen“, sagt Lewis. Ein
Versuch, mit dem geliebten Menschen in Verbindung
zu bleiben. Doch gleichzeitig will sich
der angehende Bildhauer vom väterlichen Vorbild
lösen. Während sein Erzeuger Vögel modellierte,
konzentriert sich der Sohn auf deren
natürliche Feinde: Katzen.
Bevor Lewis den ersten Jägerinnen Gestalt verleiht,
reist er nach Europa. „Eine harte Zeit“,
flüstert er ein gutes Jahrzehnt später. Mehr
kann oder will er dazu nicht sagen; und damit
seine Augen nicht mehr verraten, als Lewis
preisgeben will, vermeidet er jeden Blickkontakt.
Lewis aus seiner Versunkenheit zurück
ins Hier und Jetzt zu holen, ist eine Frage
des Themas. Künstler zum Beispiel, die der
Bildhauer verehrt: Auguste Rodin, Amedeo
Modigliani, Henry Moore. Dann findet Lewis
seine Sprache wieder und sucht die Augen des
Gegenübers. Selbst Lewis’ Blick hat etwas
Raubtierhaftes, wenn er von seinen Begegnungen
in der Wildnis spricht: „Sie sehen dich
an und durchblicken dich.“ Dem Künstler signalisieren
sie Verständnis und eine grenzenlose
Sensibilität. Kein Wunder, dass sich Lewis
eine schwarze, ägyptisch aussehende Katze als
Haustier hält. Seine Frau hat dagegen zwei
Schäfer- und zwei Wolfshunde.
Wie tief Lewis mit den Tieren fühlt, denen er
in Bronze ein Denkmal setzt, drückt er durch
ein Gedicht des von ihm ebenfalls geschätzten
englischen Dichters und Malers William
Blake aus:
„Tiger! Tiger! Brand entfacht
In den
Wäldern tiefer Nacht,
Welch’ unsterblich Aug’
und Hand
Hat dich in dein Maß gebannt?
Welch’ ferne Himmel oder Tiefen
Dir die Glut
ins Auge riefen? . .
Lewis ist sich mit Blake
einig, dass „die Wahrnehmungen des Menschen
nicht von den Organen der Wahrnehmung
beschränkt werden; er nimmt mehr
wahr, als die Sinne entdecken können“. Doch
während Blake den begehrenden und aufbegehrenden
Menschen fordert, gibt sich Lewis
zurückhaltend, bescheiden, geduldig und immer
nett – auch wenn er es mit einem langweiligen
Galeristen zu tun bekommt. In Wahrheit
ist der Künstler ein Gentleman.
„Jeder mag ihn, auch die, die seine Kunst nicht
schätzen“, sagt seine persönliche Assistentin
Colette Taylor. Sie kennt Lewis von Kindesbeinen
an und bildet mit einem frauendominierten
Dutzend engagierter Angestellter den
„Inner Circle“ um ihn herum. Gemeinsam wollen
sie mit Lewis’ Kunst das Leben bereichern.
Alle achten darauf, dass der Bildhauer das Klischee
des provozierenden Künstlers nicht bedient,
auch wenn sich alle einig sind, dass er
immer bis an die eigenen Grenzen geht.
„Künstlertum darf keine Lizenz für schlechtes
Benehmen sein“, meint Lewis. Der muskulöse
Mann fühlt sich in klassischer, konservativer
Umgebung offensichtlich wohl. Zugleich
bedauert er „den Stillstand im internationalen
Kunstbetrieb“ und versucht mit seinen Werken
für sich selbst eine neue Moderne zu erschaffen.
Sie manifestiert sich in zunehmend
abstrakter gestalteten Skulpturen. Dies ist auch
ein Versuch, die dargestellten Tiere zu schützen.
Denn der Mann, der die Wildnis liebt, hat
Angst vor Wilderern. Als solche sieht er Menschen,
die durchschnittlich 50.000 Dollar für
seine limitierten Skulpturen bezahlen und dabei
nicht das dargestellte Tier, sondern die Beute
sehen. „Ich hasse Aggression“, sagt Lewis.
„Ich sehe mich als Pazifist. Gütige Macht,
natürliche Macht beeindruckt mich. Tiere haben
keine Moral, aber sie töten nicht sinnlos.“
Lewis’ Artefakte sind Kraftzentren. Bronzene
Muskelpakete drängen sich in vorwärtsstrebender
Eleganz aneinander.
Zwischen ihren Fasern ruht die Kraft des
instinktiven Willens. Und alle Kräfte sammeln
sich im Nackenberg der modellierten Leoparden.
Von dort laufen die Energieströme ins Angriffszentrum
der Jäger: in ihre Augen. Ihr
Schöpfer geht mit einer Mischung aus handwerklicher
Meisterschaft und zielsicherer Intuition
zu Werke. Seine Schaffensperioden untermalt
die Musik Wagners. Während Text und
Melodie auf der Suche nach der ewigen
Erlösung durch die Liebe sind, zwingt Lewis
Gips und Ton in die Lebendigkeit einer natürlichen
Form.
Nach seinen Modellen hält er, ausgerüstet mit
schwarzem Skizzenbuch, im afrikanischen
Busch Ausschau. Er nähert sich Leoparden und
Nashörnern bis auf wenige Meter, um ihre Proportionen
und Bewegungen auf Papier festzuhalten.
Seine Zeichnungen dienen ihm später
als Vorlage beim Modellieren. Lewis will das
Echte, das Wahre im Tier erkennen und ausdrücken.
Als beinahe logische Folge verkauft
der Bildhauer auf der Kunstmesse „Art 2001“
in London mehr als 30 Exponate.
Die Aufträge am Stellenboscher Stammsitz
häufen sich. Jüngst verlangte ein amerikanischer
Ölmagnat und passionierter Großwildjäger
nach einem knapp drei Meter hohen und
viereinhalb Meter langen Rhinozeros aus Bronze.
Bevor die überdimensionierte Plastik in einem
stabilen Stall aus Holz verschifft wird, gibt
sich die lokale Presse ein Stelldichein.
Unterdessen wartet in Lewis’ Studio eine Schar
nackter Frauen. Führt er vielleicht doch ein Leben
nach Künstler-Manier mit Wein, Weib und
Gesang? Mitnichten. Lewis ist verheiratet und
hat zwei Kinder. Frau Liz, eine selbstbewusste
Helikopter-Pilotin, kümmert sich im Kunstbetrieb
des Dylan Lewis um die Finanzen und
plant nebenbei den Aufbau einer Flugschule
für ihre Geschlechtsgenossinnen.
Was aber haben die baren Damen im lichtdurchfluteten
Atelier verloren? Sie sind gezeichnete
Musen und als solche eine Leihgabe
des Künstlerkollegen Modigliani. Einst hat er
sie mit poetischen Strichen als sinnlich-melancholische
Abstraktionen auf Papier gebannt.
Kopien von den Originalen hängen nun
zwischen Blakes Gedichten und Fotos von
Moore-Plastiken an der „Inspirationswand“ in
Lewis’ Kreativwerkstatt.
Regen Modiglianis Aktstudien Lewis dazu an,
sein Tierreich zu verlassen und künftig auch
Menschen zu formen? Er ist unentschlossen,
tendiert aber zu einem „Nein“. Sohn Joel ist
bislang das einzige aufrechte Lebewesen, das
es als Bronzestatue gibt. Hinzu kommt, dass
der Marketingmann im Künstler weiß, wie sehr
der Name Dylan Lewis mit Raubtieren verbunden
ist. Dennoch: „Was sich nicht bewegt,
stirbt. Wasser ist ein gutes Beispiel“, sinniert
er. Doch bevor Lewis Maß am Menschen
nimmt, will sich der Katzenmann um eine Möbelkollektion
verdient machen. In der Büchervitrine
seines Anwesens stehen Titel wie „Designers
Original“ und „Furniture“.Inspiriert von
den Stilrichtungen des jungen zwanzigsten Jahrhunderts,
schuf Lewis bereits erste Prototypen: schlichte
Vitrinen, die seine Faszination für Art Nouveau-Design nicht verbergen können.
„Ich sehe mich als Renaissance-Mensch und
möchte mich nicht auf eine Ausdrucksform beschränken“,
erklärt er. Leonardo da Vinci als
Paradebeispiel des schöpferischen „Uomo
universale“ vor Augen, bedingt sich Lewis
eine Atmosphäre der größtmöglichen Herausforderung
aus.
Der suchende Blick streichelt die kalte Haut
des Leoparden. Ein Fell hat ihm sein Schöpfer
nicht zugedacht. Lewis weiß, dass seine Kreaturen
nur ungeschützt die Welt erspüren können.
Darin liegt die Kraft und die Würde seiner
Werke. Sie enthüllen in ihrer, durch die
vollendete Form geschützten Nacktheit die Essenz
der Sehnsucht, die den Menschen Dylan
Lewis zu seinen Raubkatzen treibt. Er ist der
Leopard, der Gepard, der Tiger. |
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