DER RENAISSANCE-MENSCH

Seine Kunst steht in Palästen, seine Inspiration findet er im Busch: Der südafrikanische Bildhauer Dylan Lewis fühlt mit den Tieren. Seine klassischen Arbeiten, die sich vor allem durch die lebensnahe Nachbildung von Raubkatzen definieren, sind ein Angriff auf die Welt moderner Kunstgemüter. Trotzdem oder gerade deswegen haussiert die Aktie Lewis. Ein Werkstattbericht.

Er ist der Leopard, der Gepard, der Tiger. Unter seinem Fell kämpfen Widersprüche, Gegensätze, Extreme. Sie sind die Quelle seiner Kreativität und sein Lebenselixier. Dylan Lewis ist die Raubkatze. In Stellenbosch, nahe Kapstadt, gießt der 37-Jährige seine Kraft und seine Gefühle in Bronze, um sie dann vornehmlich in Form von Panthern und Geparden auf den Markt zu bringen.

Lewis ist ein Künstler – und ein Vermarktungskünstler. Zu seinen Kunden zählen Prinz Andrew, George W. Bush und Nelson Mandela. In Lewis’ Büroschränken reihen sich Titel wie „The McKinsey Way“ oder „Surviving Success“ aneinander. Er betrachtet sie als Seiten seines Managerlebens und hält sie von seinem Künstleratelier auf der weitläufigen Mulberry-Farm fern. Die Farm ist Atelier, Wohnhaus, Büro und Ausstellungsfläche in einem, gleichwohl sind alle Bereiche voneinander getrennt. „Ich bin ein Mann der Extreme, entweder ganz Künstler oder ganz Marketing-Mann. In der Mitte fühle ich mich nicht wohl. Deshalb konzentriere ich mich immer nur auf eine meiner beiden Seiten“, sagt Lewis. Seinen langsamen, leisen Worten ist anzuhören, wie unwohl sie sich in der Außenwelt fühlen und wie sehr sie es gewohnt sind, im Kopf des Künstlers zu verweilen. Die Aufgabe von Wörtern übernehmen im Leben des Dylan Lewis üblicherweise die Hände. Vielleicht drückt er sie deshalb so fest und auf ewig sichtbar in die Oberfläche seiner ansprechenden Skulpturen, wenn er ihnen zunächst mit Ton oder Gips eine erste Hülle und eine vorläufige Aura gibt.

Lewis’ Karriere als Bildhauer beginnt mit dem plötzlichen Herzstillstand seines Vaters im Jahre 1989. Bis dahin studiert der Sohn Kunst in Kapstadt. Nebenher präpariert er tote Tiere und malt Landschaften. Darüber hinaus lässt er sich von seiner Liebe zur Tierwelt und bergigen, rauen Landstrichen durchs Leben treiben. „Ernsthaft auf Kunst, speziell auf Bildhauerei, habe ich mich erst nach dem Tod meines Vaters eingelassen“, sagt Lewis. Ein Versuch, mit dem geliebten Menschen in Verbindung zu bleiben. Doch gleichzeitig will sich der angehende Bildhauer vom väterlichen Vorbild lösen. Während sein Erzeuger Vögel modellierte, konzentriert sich der Sohn auf deren natürliche Feinde: Katzen.

Bevor Lewis den ersten Jägerinnen Gestalt verleiht, reist er nach Europa. „Eine harte Zeit“, flüstert er ein gutes Jahrzehnt später. Mehr kann oder will er dazu nicht sagen; und damit seine Augen nicht mehr verraten, als Lewis preisgeben will, vermeidet er jeden Blickkontakt. Lewis aus seiner Versunkenheit zurück ins Hier und Jetzt zu holen, ist eine Frage des Themas. Künstler zum Beispiel, die der Bildhauer verehrt: Auguste Rodin, Amedeo Modigliani, Henry Moore. Dann findet Lewis seine Sprache wieder und sucht die Augen des Gegenübers. Selbst Lewis’ Blick hat etwas Raubtierhaftes, wenn er von seinen Begegnungen in der Wildnis spricht: „Sie sehen dich an und durchblicken dich.“ Dem Künstler signalisieren sie Verständnis und eine grenzenlose Sensibilität. Kein Wunder, dass sich Lewis eine schwarze, ägyptisch aussehende Katze als Haustier hält. Seine Frau hat dagegen zwei Schäfer- und zwei Wolfshunde.

Wie tief Lewis mit den Tieren fühlt, denen er in Bronze ein Denkmal setzt, drückt er durch ein Gedicht des von ihm ebenfalls geschätzten englischen Dichters und Malers William Blake aus:

„Tiger! Tiger! Brand entfacht
In den Wäldern tiefer Nacht,
Welch’ unsterblich Aug’ und Hand
Hat dich in dein Maß gebannt?
Welch’ ferne Himmel oder Tiefen
Dir die Glut ins Auge riefen? . .

Lewis ist sich mit Blake einig, dass „die Wahrnehmungen des Menschen nicht von den Organen der Wahrnehmung beschränkt werden; er nimmt mehr wahr, als die Sinne entdecken können“. Doch während Blake den begehrenden und aufbegehrenden Menschen fordert, gibt sich Lewis zurückhaltend, bescheiden, geduldig und immer nett – auch wenn er es mit einem langweiligen Galeristen zu tun bekommt. In Wahrheit ist der Künstler ein Gentleman.

„Jeder mag ihn, auch die, die seine Kunst nicht schätzen“, sagt seine persönliche Assistentin Colette Taylor. Sie kennt Lewis von Kindesbeinen an und bildet mit einem frauendominierten Dutzend engagierter Angestellter den „Inner Circle“ um ihn herum. Gemeinsam wollen sie mit Lewis’ Kunst das Leben bereichern. Alle achten darauf, dass der Bildhauer das Klischee des provozierenden Künstlers nicht bedient, auch wenn sich alle einig sind, dass er immer bis an die eigenen Grenzen geht. „Künstlertum darf keine Lizenz für schlechtes Benehmen sein“, meint Lewis. Der muskulöse Mann fühlt sich in klassischer, konservativer Umgebung offensichtlich wohl. Zugleich bedauert er „den Stillstand im internationalen Kunstbetrieb“ und versucht mit seinen Werken für sich selbst eine neue Moderne zu erschaffen. Sie manifestiert sich in zunehmend abstrakter gestalteten Skulpturen. Dies ist auch ein Versuch, die dargestellten Tiere zu schützen. Denn der Mann, der die Wildnis liebt, hat Angst vor Wilderern. Als solche sieht er Menschen, die durchschnittlich 50.000 Dollar für seine limitierten Skulpturen bezahlen und dabei nicht das dargestellte Tier, sondern die Beute sehen. „Ich hasse Aggression“, sagt Lewis. „Ich sehe mich als Pazifist. Gütige Macht, natürliche Macht beeindruckt mich. Tiere haben keine Moral, aber sie töten nicht sinnlos.“

Lewis’ Artefakte sind Kraftzentren. Bronzene Muskelpakete drängen sich in vorwärtsstrebender Eleganz aneinander. Zwischen ihren Fasern ruht die Kraft des instinktiven Willens. Und alle Kräfte sammeln sich im Nackenberg der modellierten Leoparden. Von dort laufen die Energieströme ins Angriffszentrum der Jäger: in ihre Augen. Ihr Schöpfer geht mit einer Mischung aus handwerklicher Meisterschaft und zielsicherer Intuition zu Werke. Seine Schaffensperioden untermalt die Musik Wagners. Während Text und Melodie auf der Suche nach der ewigen Erlösung durch die Liebe sind, zwingt Lewis Gips und Ton in die Lebendigkeit einer natürlichen Form.

Nach seinen Modellen hält er, ausgerüstet mit schwarzem Skizzenbuch, im afrikanischen Busch Ausschau. Er nähert sich Leoparden und Nashörnern bis auf wenige Meter, um ihre Proportionen und Bewegungen auf Papier festzuhalten. Seine Zeichnungen dienen ihm später als Vorlage beim Modellieren. Lewis will das Echte, das Wahre im Tier erkennen und ausdrücken. Als beinahe logische Folge verkauft der Bildhauer auf der Kunstmesse „Art 2001“ in London mehr als 30 Exponate.

Die Aufträge am Stellenboscher Stammsitz häufen sich. Jüngst verlangte ein amerikanischer Ölmagnat und passionierter Großwildjäger nach einem knapp drei Meter hohen und viereinhalb Meter langen Rhinozeros aus Bronze. Bevor die überdimensionierte Plastik in einem stabilen Stall aus Holz verschifft wird, gibt sich die lokale Presse ein Stelldichein.

Unterdessen wartet in Lewis’ Studio eine Schar nackter Frauen. Führt er vielleicht doch ein Leben nach Künstler-Manier mit Wein, Weib und Gesang? Mitnichten. Lewis ist verheiratet und hat zwei Kinder. Frau Liz, eine selbstbewusste Helikopter-Pilotin, kümmert sich im Kunstbetrieb des Dylan Lewis um die Finanzen und plant nebenbei den Aufbau einer Flugschule für ihre Geschlechtsgenossinnen. Was aber haben die baren Damen im lichtdurchfluteten Atelier verloren? Sie sind gezeichnete Musen und als solche eine Leihgabe des Künstlerkollegen Modigliani. Einst hat er sie mit poetischen Strichen als sinnlich-melancholische Abstraktionen auf Papier gebannt. Kopien von den Originalen hängen nun zwischen Blakes Gedichten und Fotos von Moore-Plastiken an der „Inspirationswand“ in Lewis’ Kreativwerkstatt.

Regen Modiglianis Aktstudien Lewis dazu an, sein Tierreich zu verlassen und künftig auch Menschen zu formen? Er ist unentschlossen, tendiert aber zu einem „Nein“. Sohn Joel ist bislang das einzige aufrechte Lebewesen, das es als Bronzestatue gibt. Hinzu kommt, dass der Marketingmann im Künstler weiß, wie sehr der Name Dylan Lewis mit Raubtieren verbunden ist. Dennoch: „Was sich nicht bewegt, stirbt. Wasser ist ein gutes Beispiel“, sinniert er. Doch bevor Lewis Maß am Menschen nimmt, will sich der Katzenmann um eine Möbelkollektion verdient machen. In der Büchervitrine seines Anwesens stehen Titel wie „Designers Original“ und „Furniture“.Inspiriert von den Stilrichtungen des jungen zwanzigsten Jahrhunderts, schuf Lewis bereits erste Prototypen: schlichte Vitrinen, die seine Faszination für Art Nouveau-Design nicht verbergen können.

„Ich sehe mich als Renaissance-Mensch und möchte mich nicht auf eine Ausdrucksform beschränken“, erklärt er. Leonardo da Vinci als Paradebeispiel des schöpferischen „Uomo universale“ vor Augen, bedingt sich Lewis eine Atmosphäre der größtmöglichen Herausforderung aus.

Der suchende Blick streichelt die kalte Haut des Leoparden. Ein Fell hat ihm sein Schöpfer nicht zugedacht. Lewis weiß, dass seine Kreaturen nur ungeschützt die Welt erspüren können. Darin liegt die Kraft und die Würde seiner Werke. Sie enthüllen in ihrer, durch die vollendete Form geschützten Nacktheit die Essenz der Sehnsucht, die den Menschen Dylan Lewis zu seinen Raubkatzen treibt. Er ist der Leopard, der Gepard, der Tiger.