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Text ERIKA THIMEL
Fotos SETH JOEL
erschienen in PREMIUM
(int. Kundenmagazin von Jaguar,
Aston Martin, Land Rover und Volvo) |
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JULIE WEISS: DIE VERWANDLUNGSKÜNSTLERIN
Ihre Namen kennen nur Eingeweihte. Selbst in den Oscar-Nächten beachtet man sie kaum. Sie sind die versteckte Macht Hollywoods. Als solche gehen sie Schicksalsgemeinschaften mit Stars und Regisseuren ein: Die Kostüm-Designer der Filmmetropole. Unter ihnen leistet eine ganz besondere Arbeit: Julie Weiss. Oscar-nominiert und Emmy-prämiert schneidert sie Schauspielern wie Marlon Brando mit psychologischem Geschick Rollen auf den Leib.
Morgenmäntel aus glänzender
Seide, bedruckt mit Erdbeeren
und Kirschen, hängen lässig über
zwei gemütlichen Fernsehsesseln.
Die Hollywood-Legende Bette
Davis lehnt als Bleistiftzeichnung
an der Wand. In der Ecke steht ein
Schaukelpferd mit abgewetztem
Fell. Außerdem Stapel von Büchern,
weiße Schachteln, frische
Rosen, eine Gruppe alter Wecker,
bunte Hüte, Schals aus Samt und
Perlentaschen.
Manche Wohnungen sind mehr
als Wohn- und Schlafstätten, sie
sind Gesamtkunstwerke. So auch
Julie Weiss’ Zuhause im kalifornischen
Santa Monica. Die Kostümdesignerin
nennt ihr Heim „eine
Sammlung von Erinnerungen“.
Die braucht sie, um Schauspieler
auszustatten. Julie Weiss entscheidet,
wie Filmstars aussehen.
Bruce Willis ließ sie in Twelve
Monkeys in einem weißen Frottee-
Bademantel verzweifeln, Annette
Bening diktierte sie für deren Rolle
in American Beauty spießige
Röcke und Blusen auf den Leib,
und in Honeymoon in Las Vegas erleuchtete
sie mit hunderten von
Glühbirnen auf bunten Anzügen
menschliche Kopien von Elvis.
Für solche Arrangements gewann
Julie Weiss unter anderem
zwei Emmys (TV-Award), wurde
für den Oscar (Film) und Tony
(Theater) nominiert und von der
„Costume Designers Guild“ ausgezeichnet.
Keine Frage, die Kalifornierin
mit Zweitwohnsitz in
New York ist eine der begehrtesten
Kostümdesignerinnen Hollywoods.
Warum das so ist, zeigt sich
auch während des Interviews.
Da schneidet Julie Weiss auf einem
kleinen Holztisch einen Apfel,
bis er die Form einer Blüte hat.
Daneben platziert sie liebevoll
Mandarinen, frische Muffins, Käse
und geröstete Mandeln. Aus der
Küche duftet es nach frisch gebrühtem
Kaffee. Das Aroma zieht
an einem bemalten Schrank vorbei,
auf dem ein Pudel mit Duschhaube
skizziert ist. Julie Weiss bemalt
ihre Möbel, wenn sie telefoniert,
und sie telefoniert oft.
Dann fliegen Wortfetzen durch die
Wohnung: „Nein, sag’ ihm, ich mache
nur Filme, die etwas bedeuten.“
Julie Weiss geht es um menschliche
Botschaften und tieferen
Sinn. Das verbindet sie mit guten
Regisseuren und Schauspielern:
„Wir sind beim Film, weil wir Dinge
hinterfragen wollen“, sagt sie.
Und sie will, dass Zuschauer im Kino
neue Perspektiven entdecken.
Ein Anspruch, der sie zwangsläufig
zur Psychologin macht.
Auf der Leinwand wie im Leben
enthüllen Kleider das Unterbewusstsein
der Menschen. „Wer
glaubt, bei Kostümdesign geht es
vorrangig um Mode, irrt gewaltig.
Meine Kollegen und ich sind in
Wirklichkeit Geschichtenerzähler“,
sagt Julie Weiss. Und diese Geschichten
erzählen durch die Wahl
der Garderobe von den Enttäuschungen,
Hoffnungen und Lebensumständen
der Filmfiguren.
Zu den wichtigsten Arbeitsmitteln
beim Filmemachen gehört das
Fragen. Dadurch entstehen Psychogramme,
die wiederum in Kostümentwürfe
umgesetzt werden.
Von Modetrends lässt sich die Designerin
nur dann beeinflussen,
wenn sie zur Filmrolle passen. „Bevor
ich zeichne, muss ich wissen:
Was denkt dieser Mensch, wenn
er vor dem Spiegel steht? Wofür
zieht er sich an? Wie wichtig ist
ihm Mode? Wie selbstsicher ist er?“
Julie Weiss beobachtet genau und
achtet auf Details. Das macht sie
zu einer der Großen ihrer Branche.
Sie kleidet Stars wie Marlon Brando
und Mel Gibson für Filmrollen
ein und arbeitet am Broadway in
New York. Mit Anekdoten über
zickige Berühmtheiten kann sie
trotzdem nicht dienen. Ihre Erfahrungen
bringt sie auf den einfachen
Nenner: „Je talentierter und anerkannter
die Schauspieler, desto
problemloser kann man mit ihnen
arbeiten.“ Die Besten würden ihre
Kostüme durch bloßes Tragen in
Kleidungsstücke verwandeln.
Cate Blanchett etwa. „Für den
Film The Gift, in dem sie eine Witwe
mit drei Kindern spielt, habe ich
bei Walmart eingekauft. Dahin wäre
auch die Filmfigur auf Grund ihrer
schlechten finanziellen Lage gegangen.“
Ob Julie Weiss Kleider
selbst entwirft oder einkauft, hängt
von der Rolle und dem Budget ab.
Es sind Schicksalsgemeinschaften,
die Darsteller und Designer miteinander
eingehen.
Audrey Hepburn hatte schon vor
Jahren den schönen Satz geprägt:
„Wenn Kleider Leute machen, dann
machen Kostüme gewiss Schauspieler.“
Der Star aus Breakfast At
Tiffany’s verdankte ihren großen
Erfolg auf der Leinwand nicht zuletzt
der Kostümdesignerin Edith
Head . Diese kleidete die junge Aktrice
gemeinsam mit dem französischen
Modeschöpfer Hubert de
Givenchy für ihre Rolle als Holly
Golightly ein. Nebenbei entstand
ein Modestil, der noch heute gerne
aufgegriffen wird.
Der Grund liegt nahe: Zuschauer
wollen sich mit Schauspielern
und ihren Rollen identifizieren,
deshalb imitieren sie Kleidung und
Accessoires. Ein Segen für manche
Modemacher. Giorgio Armani gelang
der internationale Durchbruch,
nachdem Richard Gere für
den Streifen American Gigolo in
den achtziger Jahren die Anzüge
des Italieners getragen hatte.
Julie Weiss interessieren diese
Aspekte ihres Berufs weniger, dabei
hat sie 1998 selbst einen Trend
provoziert. Damals zog sie Johnny
Depp für Fear und Loathing in Las
Vegas bunte Hawaii-Hemden an,
setzte ihm eine große Sonnenbrillen
auf die Nase und eine Baumwollkappe
auf den Kopf. Magazine
wie ID, Face und Wallpaper
ließen sich inspirieren, und selbst
vier Jahre nach der Filmpremiere
sieht man noch Johnny-Depp-Kopien
durch die Gegend laufen.
Kostümdesigner müssen nicht
nur Künstler sein, sondern auch
ebenso gute Rechercheure und Historiker.
„Wer nicht weiß, was die
Menschen in den 50er Jahren bewegt
hat, kann Schauspieler für
Rollen, die in dieser Zeit spielen,
nicht glaubwürdig einkleiden“, erzählt
Melody Barnett. Sie ist Hollywoods
beliebteste Kostümverleiherin
und eine Freundin von Weiss.
An den Wänden in Barnetts
Wohnzimmer hängen unzählige
Frauenschuhe aus alten Tagen. In
den Räumen darunter lagern eine
halbe Million Originalkostüme
und Accessoires: verführerische
Abendkleider aus Seide, Züchtiges
aus weißer Spitze, aber auch Ausgeflipptes
wie funkelnder Strass
oder provokante Hüte – Zeugnisse
des vergangenen Jahrhunderts.
Barnett und Weiss sind ein eingespieltes
Team, das vom gegenseitigen
Geben und Nehmen lebt.
So sind im Eingangsbereich von
„Palace Costume & Prop. Co.“ Kostüme
von Julie Weiss’ letztem Projekt
drapiert. Das weiße Spitzenkleid
etwa hat noch vor wenigen
Monaten Selma Hayek in ihrer
Rolle als Frida Kahlo getragen.
Der Film Frida über das Leben
der berühmten mexikanischen Malerin
kommt im Oktober in die
Kinos. Die attraktive, lebenslustige
Tochter eines Deutschen und einer
Mexikanerin, 1907 geboren,
erleidet als Mädchen einen schweren
Busunfall, an dessen Spätfolgen
sie 1954 stirbt. Ihr Körper wird
von einer Metallstange durchbohrt.
Sie überlebt und beginnt im Krankenhaus
zu malen.
Durch ihre Kunst und einen unbändigen
Lebenswillen erträgt sie
die Verletzungen und entwickelt
sich zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten
ihres Landes. Sie erschafft
sich in extravaganten, farbenfrohen
Kleidern neu, heiratet
den Maler Diego Rivera, freundet
sich mit Leo Trotzki an. Ein leidenschaftliches
Leben – und eine
Herausforderung für Julie Weiss.
Ihrer Art entsprechend, hat sie für
das Projekt Frida schlicht überall
gearbeitet: auf dem kleinen Holztisch
in ihrer Wohnung, am Drehort,
im Auto, im Restaurant.
Um sich besser in die Person
Frida Kahlo versetzen zu können,
machte sich Weiss mit Kahlos Welt
in allen Einzelheiten vertraut: umgab
sich mit Schmuckstücken, die
auch die Künstlerin zu tragen
pflegte, beschäftigte sich mit ausdrucksstarken
Fotostudien, farbintensiven
Stoffen, bunten mexikanischen
Totenköpfen aus Zucker,
Rosen, Taschen, Schleifen – und
natürlich mit Drucken von Kahlos
fantastischen Bildern. Kunstkenner
beschreiben sie gerne als „Metaphern
für Liebe und Tod“.
Auch die Modewelt trug der
Künstlerin Rechnung und rief bereits
im Frühjahr den „Frida Kahlo-
Stil“ aus: extravagante Mode mit
folkloristischem Touch. Die Redakteure
der Fashion-Magazine
konnten schließlich nicht ahnen,
dass sich die Filmpremiere um ein
paar Monate verzögern würde.
Um Gottes Willen, du schon
wieder! Bitte verschone uns!“
Derart scherzhaft wird Julie am Set
begrüßt. Sie gilt als Perfektionistin,
die sich immer am Drehort aufhält.
Oft werden in letzter Minute noch
Änderungen an den Entwürfen
notwendig. „Ob ein Outfit wirklich
funktioniert, stellt sich letztlich immer
erst beim Dreh heraus“, sagt
Julie Weiss.
Und so kam es dann auch, dass
sie in letzter Minute die Schauspielerin
Selma Hayek von einer
Bluse in die andere schlüpfen ließ,
ihre Handtasche austauschte und
anderen Schmuck verlangte. Im
Extremfall wird komplett umdisponiert.
Ihre Arbeit beendet Julie
Weiss selbst nach Drehschluss
noch nicht. „In meinem Kopf läuft
jedes Projekt weiter.“ Selbst Jahre
nach der Premiere von American
Beauty gehen ihr noch Kostüme für
den Film durch den Kopf.
So verwundert es nicht, dass
der Workaholic seit 15 Jahren ohne
größere Unterbrechung durchgearbeitet
hat. In diesem Jahr will
sie sich erstmals vier Wochen freinehmen.
Eine Zeit, vor der sie sich
ein wenig fürchtet. Denn Julie
Weiss liebt ihre Arbeit.
Ablenkung soll ein „Ferien-
Großprojekt“ bringen: Julie Weiss
will ihr Gesamtkunstwerk Wohnung
neu organisieren. Wo jetzt
weiße Kisten mit Requisiten und
Kostümen aus ihren Filmen Platz
finden, sich Bücher stapeln und
Kunstobjekte anhäufen, soll künftig
ein großer Tisch stehen, an dem
sie Schauspieler, Regisseure und
Designer versammeln will. „Wir in
der Filmbranche sind eine große
Schicksalsgemeinschaft. Jeder ist
von jedem abhängig. Keiner“, sagt
Julie Weiss, „kann ohne den anderen
Erfolg haben.“
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