JULIE WEISS: DIE VERWANDLUNGSKÜNSTLERIN

Ihre Namen kennen nur Eingeweihte. Selbst in den Oscar-Nächten beachtet man sie kaum. Sie sind die versteckte Macht Hollywoods. Als solche gehen sie Schicksalsgemeinschaften mit Stars und Regisseuren ein: Die Kostüm-Designer der Filmmetropole. Unter ihnen leistet eine ganz besondere Arbeit: Julie Weiss. Oscar-nominiert und Emmy-prämiert schneidert sie Schauspielern wie Marlon Brando mit psychologischem Geschick Rollen auf den Leib.

Morgenmäntel aus glänzender Seide, bedruckt mit Erdbeeren und Kirschen, hängen lässig über zwei gemütlichen Fernsehsesseln. Die Hollywood-Legende Bette Davis lehnt als Bleistiftzeichnung an der Wand. In der Ecke steht ein Schaukelpferd mit abgewetztem Fell. Außerdem Stapel von Büchern, weiße Schachteln, frische Rosen, eine Gruppe alter Wecker, bunte Hüte, Schals aus Samt und Perlentaschen.

Manche Wohnungen sind mehr als Wohn- und Schlafstätten, sie sind Gesamtkunstwerke. So auch Julie Weiss’ Zuhause im kalifornischen Santa Monica. Die Kostümdesignerin nennt ihr Heim „eine Sammlung von Erinnerungen“. Die braucht sie, um Schauspieler auszustatten. Julie Weiss entscheidet, wie Filmstars aussehen.

Bruce Willis ließ sie in Twelve Monkeys in einem weißen Frottee- Bademantel verzweifeln, Annette Bening diktierte sie für deren Rolle in American Beauty spießige Röcke und Blusen auf den Leib, und in Honeymoon in Las Vegas erleuchtete sie mit hunderten von Glühbirnen auf bunten Anzügen menschliche Kopien von Elvis.

Für solche Arrangements gewann Julie Weiss unter anderem zwei Emmys (TV-Award), wurde für den Oscar (Film) und Tony (Theater) nominiert und von der „Costume Designers Guild“ ausgezeichnet. Keine Frage, die Kalifornierin mit Zweitwohnsitz in New York ist eine der begehrtesten Kostümdesignerinnen Hollywoods. Warum das so ist, zeigt sich auch während des Interviews.

Da schneidet Julie Weiss auf einem kleinen Holztisch einen Apfel, bis er die Form einer Blüte hat. Daneben platziert sie liebevoll Mandarinen, frische Muffins, Käse und geröstete Mandeln. Aus der Küche duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee. Das Aroma zieht an einem bemalten Schrank vorbei, auf dem ein Pudel mit Duschhaube skizziert ist. Julie Weiss bemalt ihre Möbel, wenn sie telefoniert, und sie telefoniert oft. Dann fliegen Wortfetzen durch die Wohnung: „Nein, sag’ ihm, ich mache nur Filme, die etwas bedeuten.“ Julie Weiss geht es um menschliche Botschaften und tieferen Sinn. Das verbindet sie mit guten Regisseuren und Schauspielern: „Wir sind beim Film, weil wir Dinge hinterfragen wollen“, sagt sie. Und sie will, dass Zuschauer im Kino neue Perspektiven entdecken. Ein Anspruch, der sie zwangsläufig zur Psychologin macht.

Auf der Leinwand wie im Leben enthüllen Kleider das Unterbewusstsein der Menschen. „Wer glaubt, bei Kostümdesign geht es vorrangig um Mode, irrt gewaltig. Meine Kollegen und ich sind in Wirklichkeit Geschichtenerzähler“, sagt Julie Weiss. Und diese Geschichten erzählen durch die Wahl der Garderobe von den Enttäuschungen, Hoffnungen und Lebensumständen der Filmfiguren.

Zu den wichtigsten Arbeitsmitteln beim Filmemachen gehört das Fragen. Dadurch entstehen Psychogramme, die wiederum in Kostümentwürfe umgesetzt werden. Von Modetrends lässt sich die Designerin nur dann beeinflussen, wenn sie zur Filmrolle passen. „Bevor ich zeichne, muss ich wissen: Was denkt dieser Mensch, wenn er vor dem Spiegel steht? Wofür zieht er sich an? Wie wichtig ist ihm Mode? Wie selbstsicher ist er?“ Julie Weiss beobachtet genau und achtet auf Details. Das macht sie zu einer der Großen ihrer Branche. Sie kleidet Stars wie Marlon Brando und Mel Gibson für Filmrollen ein und arbeitet am Broadway in New York. Mit Anekdoten über zickige Berühmtheiten kann sie trotzdem nicht dienen. Ihre Erfahrungen bringt sie auf den einfachen Nenner: „Je talentierter und anerkannter die Schauspieler, desto problemloser kann man mit ihnen arbeiten.“ Die Besten würden ihre Kostüme durch bloßes Tragen in Kleidungsstücke verwandeln.

Cate Blanchett etwa. „Für den Film The Gift, in dem sie eine Witwe mit drei Kindern spielt, habe ich bei Walmart eingekauft. Dahin wäre auch die Filmfigur auf Grund ihrer schlechten finanziellen Lage gegangen.“ Ob Julie Weiss Kleider selbst entwirft oder einkauft, hängt von der Rolle und dem Budget ab. Es sind Schicksalsgemeinschaften, die Darsteller und Designer miteinander eingehen.

Audrey Hepburn hatte schon vor Jahren den schönen Satz geprägt: „Wenn Kleider Leute machen, dann machen Kostüme gewiss Schauspieler.“ Der Star aus Breakfast At Tiffany’s verdankte ihren großen Erfolg auf der Leinwand nicht zuletzt der Kostümdesignerin Edith Head . Diese kleidete die junge Aktrice gemeinsam mit dem französischen Modeschöpfer Hubert de Givenchy für ihre Rolle als Holly Golightly ein. Nebenbei entstand ein Modestil, der noch heute gerne aufgegriffen wird.

Der Grund liegt nahe: Zuschauer wollen sich mit Schauspielern und ihren Rollen identifizieren, deshalb imitieren sie Kleidung und Accessoires. Ein Segen für manche Modemacher. Giorgio Armani gelang der internationale Durchbruch, nachdem Richard Gere für den Streifen American Gigolo in den achtziger Jahren die Anzüge des Italieners getragen hatte.

Julie Weiss interessieren diese Aspekte ihres Berufs weniger, dabei hat sie 1998 selbst einen Trend provoziert. Damals zog sie Johnny Depp für Fear und Loathing in Las Vegas bunte Hawaii-Hemden an, setzte ihm eine große Sonnenbrillen auf die Nase und eine Baumwollkappe auf den Kopf. Magazine wie ID, Face und Wallpaper ließen sich inspirieren, und selbst vier Jahre nach der Filmpremiere sieht man noch Johnny-Depp-Kopien durch die Gegend laufen.

Kostümdesigner müssen nicht nur Künstler sein, sondern auch ebenso gute Rechercheure und Historiker. „Wer nicht weiß, was die Menschen in den 50er Jahren bewegt hat, kann Schauspieler für Rollen, die in dieser Zeit spielen, nicht glaubwürdig einkleiden“, erzählt Melody Barnett. Sie ist Hollywoods beliebteste Kostümverleiherin und eine Freundin von Weiss.

An den Wänden in Barnetts Wohnzimmer hängen unzählige Frauenschuhe aus alten Tagen. In den Räumen darunter lagern eine halbe Million Originalkostüme und Accessoires: verführerische Abendkleider aus Seide, Züchtiges aus weißer Spitze, aber auch Ausgeflipptes wie funkelnder Strass oder provokante Hüte – Zeugnisse des vergangenen Jahrhunderts.

Barnett und Weiss sind ein eingespieltes Team, das vom gegenseitigen Geben und Nehmen lebt. So sind im Eingangsbereich von „Palace Costume & Prop. Co.“ Kostüme von Julie Weiss’ letztem Projekt drapiert. Das weiße Spitzenkleid etwa hat noch vor wenigen Monaten Selma Hayek in ihrer Rolle als Frida Kahlo getragen.

Der Film Frida über das Leben der berühmten mexikanischen Malerin kommt im Oktober in die Kinos. Die attraktive, lebenslustige Tochter eines Deutschen und einer Mexikanerin, 1907 geboren, erleidet als Mädchen einen schweren Busunfall, an dessen Spätfolgen sie 1954 stirbt. Ihr Körper wird von einer Metallstange durchbohrt. Sie überlebt und beginnt im Krankenhaus zu malen.

Durch ihre Kunst und einen unbändigen Lebenswillen erträgt sie die Verletzungen und entwickelt sich zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten ihres Landes. Sie erschafft sich in extravaganten, farbenfrohen Kleidern neu, heiratet den Maler Diego Rivera, freundet sich mit Leo Trotzki an. Ein leidenschaftliches Leben – und eine Herausforderung für Julie Weiss. Ihrer Art entsprechend, hat sie für das Projekt Frida schlicht überall gearbeitet: auf dem kleinen Holztisch in ihrer Wohnung, am Drehort, im Auto, im Restaurant.

Um sich besser in die Person Frida Kahlo versetzen zu können, machte sich Weiss mit Kahlos Welt in allen Einzelheiten vertraut: umgab sich mit Schmuckstücken, die auch die Künstlerin zu tragen pflegte, beschäftigte sich mit ausdrucksstarken Fotostudien, farbintensiven Stoffen, bunten mexikanischen Totenköpfen aus Zucker, Rosen, Taschen, Schleifen – und natürlich mit Drucken von Kahlos fantastischen Bildern. Kunstkenner beschreiben sie gerne als „Metaphern für Liebe und Tod“.

Auch die Modewelt trug der Künstlerin Rechnung und rief bereits im Frühjahr den „Frida Kahlo- Stil“ aus: extravagante Mode mit folkloristischem Touch. Die Redakteure der Fashion-Magazine konnten schließlich nicht ahnen, dass sich die Filmpremiere um ein paar Monate verzögern würde.

Um Gottes Willen, du schon wieder! Bitte verschone uns!“ Derart scherzhaft wird Julie am Set begrüßt. Sie gilt als Perfektionistin, die sich immer am Drehort aufhält. Oft werden in letzter Minute noch Änderungen an den Entwürfen notwendig. „Ob ein Outfit wirklich funktioniert, stellt sich letztlich immer erst beim Dreh heraus“, sagt Julie Weiss.

Und so kam es dann auch, dass sie in letzter Minute die Schauspielerin Selma Hayek von einer Bluse in die andere schlüpfen ließ, ihre Handtasche austauschte und anderen Schmuck verlangte. Im Extremfall wird komplett umdisponiert. Ihre Arbeit beendet Julie Weiss selbst nach Drehschluss noch nicht. „In meinem Kopf läuft jedes Projekt weiter.“ Selbst Jahre nach der Premiere von American Beauty gehen ihr noch Kostüme für den Film durch den Kopf.

So verwundert es nicht, dass der Workaholic seit 15 Jahren ohne größere Unterbrechung durchgearbeitet hat. In diesem Jahr will sie sich erstmals vier Wochen freinehmen. Eine Zeit, vor der sie sich ein wenig fürchtet. Denn Julie Weiss liebt ihre Arbeit.

Ablenkung soll ein „Ferien- Großprojekt“ bringen: Julie Weiss will ihr Gesamtkunstwerk Wohnung neu organisieren. Wo jetzt weiße Kisten mit Requisiten und Kostümen aus ihren Filmen Platz finden, sich Bücher stapeln und Kunstobjekte anhäufen, soll künftig ein großer Tisch stehen, an dem sie Schauspieler, Regisseure und Designer versammeln will. „Wir in der Filmbranche sind eine große Schicksalsgemeinschaft. Jeder ist von jedem abhängig. Keiner“, sagt Julie Weiss, „kann ohne den anderen Erfolg haben.“