MARTHA SCHWARTZ: DAS NATURTALENT

Martha Schwartz will die Natur übertreffen und es gelingt ihr immer wieder. Ihre Mittel: klare Strukturen, kraftvolle Farben und Mut. Damit schafft sie Gärten und Landschaften, die als begehbare Kunstwerke bewundert werden. Konzerne und Privatpersonen schätzen die meditative Kraft ihrer Arbeit. Die geordneten Oberflächen der Amerikanerin werden von emotionalen Urgewalten zusammengefügt: Zorn und Aggression, Hoffnung und Liebe. Eine Reise ins Erdreich einer Landschafts-Architektin.

Wo heute der Wind das Gras streichelt, sollen morgen bunte Glasmurmeln die Erde pflastern. Die Sonne wird sich an ihren Farben berauschen, der Regen ihre Oberfläche pflegen. Auf Cape Cod, der Prominenten- Halbinsel südlich von Boston, trifft der Niederschlag gewöhnlich auf exklusive Ferienhäuser, Dünensand, Wald und Wiesen. Das ändert sich, wenn Martha Schwartz den Rasen hinter ihrem Landsitz in ein Feld der Fantasie verwandelt haben wird.

Doch vorher will die Landschaftsarchitektin ausspannen. Ihr Spezialgebiet, die Provokation, ist anstrengend. Dabei provoziert sie nahezu beiläufig, indem sie Disziplinen zusammenfügt, die andere trennen. Sie verbindet zeitgenössische Kunst mit Landschafts- und Gartenarchitektur. Nicht zuletzt diese ungewöhnliche Kombination macht sie so erfolgreich wie umstritten. Und führt zu einem Definitionsproblem. Künstlerin oder Landschaftsarchitektin? Beides stimmt. Im Moment erholt sich Schwartz in ihrem Ferienhaus von der Geburt ihres dritten Kindes, das sie mit 51 Jahren bekommen hat. Schwartz hat einfach keine Muße zu altern, sie ist viel zu beschäftigt. Engagiert jongliert sie mit ihren verschiedenen Lebensrollen als Mutter, Ehefrau, Harvard-Professorin und Unternehmerin mit Wohnsitzen in Europa und den USA. Woher nimmt die Frau ihre Energie?

„Sie ist sehr aggressiv, ehrlich und geradeheraus“, sagt ihr Vater Mickey, ein Architekt im Ruhestand. Und sie selbst sagt: „Ich bin zornig.“ Ihre Stimme hebt sich dabei, sie trägt Leidenschaft und Wut nach außen, wenn Martha Schwartz über ästhetische Verbrechen in menschlichen Lebensräumen spricht. Gemeint sind graue Plätze, vernachlässigte Dachgärten, öde Parkhäuser, desolate Hospitäler und langweilige Highways. Anstelle von hässlichen Zweckbauten wünscht sie sich Arrangements aus Farben und aufregenden Formen. Ästhetik ist ihrer Meinung nach keine Frage des Geschmacks, sondern der Haltung.

Die Amerikanerin mit Firmensitz in Cambridge, Massachusetts, bestückt ihre Gärten und Landschaften gerne mit unkonventionellen Objekten wie silbernen Kugeln, goldenen Fröschen oder weiß lackierten Autoreifen. Kritiker rücken ihre Werke deshalb oft in die Nähe von Pop-Art-Künstlern. Dies umso mehr, da Schwartz auf Farbeffekte zielt. „Kräftige Töne begeistern mich“, sagt sie, „im Freien entfalten sie ihre volle Kraft.“ Es sei erstaunlich, wie stark Farben Stimmungen beeinflussen würden. Grün beruhigt. Grün, das ist auch die Farbe, in der Schwartz’ Zehennägel lackiert sind.

Aber trotz aller Buntheit wirken ihre Arbeiten konzentriert und reduziert. Die Fachwelt bemüht bei ihren Interpretationen deshalb auch den Begriff „Zen“. Japaner beschreiben damit einen Zustand der inneren Versenkung. Internationales Gedankengut passt zu der weltoffenen Gartenbauarchitektin. Gerade die Europäer schätzen ihren Stil, und so führen sie ihre Aufträge immer wieder über den Atlantik.

Bis vor kurzem hieß das Ziel München. Dort errichtete der internationale Finanzkonzern Swiss Re nach Plänen des Architekturbüros Bothe Richter Teherani seine gläserne Deutschland-Zentrale. Mit der Gestaltung der Außenanlagen wurde Martha Schwartz beauftragt. Heraus kam ein Meisterwerk, das sich durch strenge Formen und kontrastreiche Farben auszeichnet. Grüne Glaskugeln reflektieren das Licht im Innenhof, blauer Glassplitt fasst eine Gebäudeecke ein, Steinblöcke wachsen aus sandfarbenem Kies und rotgefärbte Baumstämme liegen in exakt gleichen Abständen auf heller Fläche.

Dabei scheint jede ihrer skulpturalen Installationen einen eigenen Rhythmus zu haben. Die Parallele zur Musik gefällt Schwartz, der Vergleich erinnert sie an ihr Ideal: „Meine Werke sollen sinfonischen Charakter haben und mit den verschiedenen Stimmungen der Menschen korrespondieren. Und sie sollen einladen zu einer Reise durch Raum und Zeit.“ Auf dem Weg stellt sich vielleicht eine Lieblingsfrage von Schwartz. Können Künstler die Natur übertreffen? „Absolut“, sagt sie, „Natur ist das, wozu wir sie bestimmen.“ Damit widerspricht die Künstlerin zwar einem Grundgedanken des Zen, die Welt zu nehmen wie sie ist, ohne ihr eigene Ideen oder Gefühle hinzuzufügen, aber die asiatische Geisteshaltung findet dennoch Platz in ihrem Leben.

Den amerikanischen Nationalpark Yosemite etwa würde sie am liebsten einzäunen, um seine Schönheit und Wildnis zu schützen. Doch nur keine Missverständnisse: „Dass Natur wichtig ist, rechtfertigt noch lange nicht die Art, wie wir mit den Plätzen umgehen, auf denen wir uns bewegen.“ Schwartz fordert einen visuellen Anspruch, auf den wegen Gier und Sparsamkeit oft verzichtet wird. „Denken Sie an Großraumparkplätze, da zählt nur, möglichst viele Autos unterzubringen, statt eine schöne Fläche für die Menschen zu schaffen.“ Schwartz zeigt, dass es auch originell geht. Für Disney gestaltete sie in Kalifornien einen Parkplatz nach ihrem Gusto.

Martha Schwartz’ Mission für eine ästhetische Umwelt begann in den siebziger Jahren, als sie sich vom Gedanken an eine medizinische Laufbahn verabschiedete und sich ganz aufs Studium von Kunst und Landschaftsarchitektur konzentrierte. „Die verrückten Künstler, das waren meine Leute“, sagt Schwartz. „Mich faszinierte deren Freiheit, anders zu denken und zu leben.“

Der Durchbruch gelang ihr mit einem rechteckigen, französisch anmutenden Garten, in dem sie violettfarbenen Kies ausstreute und darauf 96 Bagels drapierte. Es war ihr eigener Garten und der Entwurf ein Willkommensgruß an ihren damaligen Partner, den sie von einer Wochenendreise zurück erwartete. Spätestens seit der Aktion mit den Hefeteigkringeln ist sie überzeugt: „Es geht um mehr als um Gräser, Sträucher und Bäume.“ Damit reizt sie den Widerspruch konservativer Kollegen, die beim Anblick ihrer anorganischen Provokationen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Doch Martha Schwartz hält unbeirrt an ihrer Ansicht fest, dass „unsere Umgebung unsere Kultur ausdrückt“. Und davon erzählen ihre Projekte: die bunten Leuchtschirme in der Arena von Fort Lauderdale, Florida, die als mechanische Palmen an die Bäume der Everglades erinnern sollen. Oder der Zen- Garten des Whitehead Instituts in Cambridge, der mit seinen konzentrischen Kreisen und harmonischen Proportionen die Gedanken beflügelt. Andere Projekte stehen noch bevor. Gerne würde sie einen abstrakten Golfplatz entwerfen oder eine verlassene Grubenlandschaft in ein begehbares Kunstobjekt verwandeln. Dafür würde sie auch die Arbeit am eigenen Garten auf Cape Cod verschieben.

Hauptsache, die Menschen verstehen, was Martha Schwartz am Herzen liegt. „Ich wünschte, wir würden unsere Umgebung endlich als potenzielle Kunstform begreifen, damit die Welt besser aussieht als bisher. Denn wie die Dinge um uns herum aussehen, das spiegelt uns nicht nur wider, es formt uns auch.“