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Text ERIKA THIMEL
Fotos ULRIKE MYRZIK,
MANFRED JARISCH
erschienen in PREMIUM
(int. Kundenmagazin von Jaguar,
Aston Martin, Land Rover und Volvo) |
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MARTHA SCHWARTZ: DAS NATURTALENT
Martha Schwartz will die Natur übertreffen und es gelingt ihr immer wieder. Ihre Mittel: klare Strukturen, kraftvolle Farben und Mut. Damit schafft sie Gärten und Landschaften, die als begehbare Kunstwerke bewundert werden. Konzerne und Privatpersonen schätzen die meditative Kraft ihrer Arbeit. Die geordneten Oberflächen der Amerikanerin werden von emotionalen Urgewalten zusammengefügt: Zorn und Aggression, Hoffnung und Liebe. Eine Reise ins Erdreich einer Landschafts-Architektin.
Wo heute der Wind das Gras streichelt,
sollen morgen bunte Glasmurmeln die
Erde pflastern. Die Sonne wird sich an ihren
Farben berauschen, der Regen ihre Oberfläche
pflegen. Auf Cape Cod, der Prominenten-
Halbinsel südlich von Boston, trifft der
Niederschlag gewöhnlich auf exklusive Ferienhäuser,
Dünensand, Wald und Wiesen.
Das ändert sich, wenn Martha Schwartz den
Rasen hinter ihrem Landsitz in ein Feld der
Fantasie verwandelt haben wird.
Doch vorher will die Landschaftsarchitektin
ausspannen. Ihr Spezialgebiet, die Provokation,
ist anstrengend. Dabei provoziert sie
nahezu beiläufig, indem sie Disziplinen zusammenfügt,
die andere trennen. Sie verbindet
zeitgenössische Kunst mit Landschafts- und
Gartenarchitektur. Nicht zuletzt diese
ungewöhnliche Kombination macht sie so erfolgreich
wie umstritten. Und führt zu einem
Definitionsproblem. Künstlerin oder Landschaftsarchitektin?
Beides stimmt. Im Moment
erholt sich Schwartz in ihrem Ferienhaus
von der Geburt ihres dritten Kindes, das
sie mit 51 Jahren bekommen hat. Schwartz
hat einfach keine Muße zu altern, sie ist viel zu
beschäftigt. Engagiert jongliert sie mit ihren
verschiedenen Lebensrollen als Mutter, Ehefrau,
Harvard-Professorin und Unternehmerin
mit Wohnsitzen in Europa und den USA.
Woher nimmt die Frau ihre Energie?
„Sie ist sehr aggressiv, ehrlich und geradeheraus“,
sagt ihr Vater Mickey, ein Architekt
im Ruhestand. Und sie selbst sagt: „Ich bin
zornig.“ Ihre Stimme hebt sich dabei, sie trägt
Leidenschaft und Wut nach außen, wenn
Martha Schwartz über ästhetische Verbrechen
in menschlichen Lebensräumen spricht.
Gemeint sind graue Plätze, vernachlässigte
Dachgärten, öde Parkhäuser, desolate Hospitäler
und langweilige Highways. Anstelle von
hässlichen Zweckbauten wünscht sie sich
Arrangements aus Farben und aufregenden
Formen. Ästhetik ist ihrer Meinung nach keine
Frage des Geschmacks, sondern der Haltung.
Die Amerikanerin mit Firmensitz in Cambridge,
Massachusetts, bestückt ihre Gärten
und Landschaften gerne mit unkonventionellen
Objekten wie silbernen Kugeln, goldenen
Fröschen oder weiß lackierten Autoreifen.
Kritiker rücken ihre Werke deshalb oft in die
Nähe von Pop-Art-Künstlern. Dies umso
mehr, da Schwartz auf Farbeffekte zielt.
„Kräftige Töne begeistern mich“, sagt sie, „im
Freien entfalten sie ihre volle Kraft.“ Es sei erstaunlich,
wie stark Farben Stimmungen beeinflussen
würden. Grün beruhigt. Grün, das
ist auch die Farbe, in der Schwartz’ Zehennägel
lackiert sind.
Aber trotz aller Buntheit wirken ihre
Arbeiten konzentriert und reduziert. Die
Fachwelt bemüht bei ihren Interpretationen
deshalb auch den Begriff „Zen“. Japaner beschreiben
damit einen Zustand der inneren
Versenkung. Internationales Gedankengut
passt zu der weltoffenen Gartenbauarchitektin.
Gerade die Europäer schätzen ihren
Stil, und so führen sie ihre Aufträge immer
wieder über den Atlantik.
Bis vor kurzem hieß das Ziel München.
Dort errichtete der internationale Finanzkonzern
Swiss Re nach Plänen des Architekturbüros
Bothe Richter Teherani seine
gläserne Deutschland-Zentrale. Mit der Gestaltung
der Außenanlagen wurde Martha
Schwartz beauftragt. Heraus kam ein Meisterwerk,
das sich durch strenge Formen und
kontrastreiche Farben auszeichnet. Grüne
Glaskugeln reflektieren das Licht im Innenhof,
blauer Glassplitt fasst eine Gebäudeecke
ein, Steinblöcke wachsen aus sandfarbenem
Kies und rotgefärbte Baumstämme liegen in
exakt gleichen Abständen auf heller Fläche.
Dabei scheint jede ihrer skulpturalen Installationen
einen eigenen Rhythmus zu haben.
Die Parallele zur Musik gefällt Schwartz,
der Vergleich erinnert sie an ihr Ideal: „Meine
Werke sollen sinfonischen Charakter haben
und mit den verschiedenen Stimmungen der
Menschen korrespondieren. Und sie sollen
einladen zu einer Reise durch Raum und
Zeit.“ Auf dem Weg stellt sich vielleicht eine
Lieblingsfrage von Schwartz. Können Künstler
die Natur übertreffen? „Absolut“, sagt sie,
„Natur ist das, wozu wir sie bestimmen.“ Damit
widerspricht die Künstlerin zwar einem
Grundgedanken des Zen, die Welt zu nehmen
wie sie ist, ohne ihr eigene Ideen oder Gefühle
hinzuzufügen, aber die asiatische Geisteshaltung
findet dennoch Platz in ihrem Leben.
Den amerikanischen Nationalpark Yosemite
etwa würde sie am liebsten einzäunen,
um seine Schönheit und Wildnis zu
schützen. Doch nur keine Missverständnisse:
„Dass Natur wichtig ist, rechtfertigt
noch lange nicht die Art, wie wir mit den
Plätzen umgehen, auf denen wir uns bewegen.“
Schwartz fordert einen visuellen
Anspruch, auf den wegen Gier und Sparsamkeit
oft verzichtet wird. „Denken Sie an
Großraumparkplätze, da zählt nur, möglichst
viele Autos unterzubringen, statt eine
schöne Fläche für die Menschen zu schaffen.“
Schwartz zeigt, dass es auch originell
geht. Für Disney gestaltete sie in Kalifornien
einen Parkplatz nach ihrem Gusto.
Martha Schwartz’ Mission für eine ästhetische
Umwelt begann in den siebziger Jahren,
als sie sich vom Gedanken an eine medizinische
Laufbahn verabschiedete und sich ganz
aufs Studium von Kunst und Landschaftsarchitektur
konzentrierte. „Die verrückten
Künstler, das waren meine Leute“, sagt
Schwartz. „Mich faszinierte deren Freiheit,
anders zu denken und zu leben.“
Der Durchbruch gelang ihr mit einem
rechteckigen, französisch anmutenden Garten,
in dem sie violettfarbenen Kies ausstreute
und darauf 96 Bagels drapierte. Es
war ihr eigener Garten und der Entwurf ein
Willkommensgruß an ihren damaligen Partner,
den sie von einer Wochenendreise zurück
erwartete. Spätestens seit der Aktion
mit den Hefeteigkringeln ist sie überzeugt:
„Es geht um mehr als um Gräser, Sträucher
und Bäume.“ Damit reizt sie den Widerspruch
konservativer Kollegen, die beim Anblick
ihrer anorganischen Provokationen die
Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Doch Martha Schwartz hält unbeirrt an
ihrer Ansicht fest, dass „unsere Umgebung
unsere Kultur ausdrückt“. Und davon erzählen
ihre Projekte: die bunten Leuchtschirme
in der Arena von Fort Lauderdale, Florida, die
als mechanische Palmen an die Bäume der
Everglades erinnern sollen. Oder der Zen-
Garten des Whitehead Instituts in Cambridge,
der mit seinen konzentrischen Kreisen und
harmonischen Proportionen die Gedanken
beflügelt. Andere Projekte stehen noch bevor.
Gerne würde sie einen abstrakten Golfplatz
entwerfen oder eine verlassene Grubenlandschaft
in ein begehbares Kunstobjekt verwandeln.
Dafür würde sie auch die Arbeit am
eigenen Garten auf Cape Cod verschieben.
Hauptsache, die Menschen verstehen, was
Martha Schwartz am Herzen liegt. „Ich
wünschte, wir würden unsere Umgebung endlich
als potenzielle Kunstform begreifen, damit
die Welt besser aussieht als bisher. Denn wie
die Dinge um uns herum aussehen, das spiegelt
uns nicht nur wider, es formt uns auch.“
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