OXFORD UNIVERSITY: SCHÖNE ALTE WELT

Es gibt kaum eine andere Stadt, deren Name so untrennbar mit Bildung und Erfolg verbunden ist, wie Oxford. Wer an der weltweit ältesten englischsprachigen Universität studiert, gilt als gemachter Mann, bzw. gemachte Frau. 25 britische Premierminister, 40 Nobelpreisträger, 85 Erzbischöfe, drei Heilige und fünf Könige hat das mittelalterliche Wissens-Laboratorium hervorgebracht. In Oxford herrscht ein besonderer Geist, sagen die, die dazugehören. Eine Entdeckungsreise.

Wer über Oxford spricht, meint fast immer seine Universität. Dabei gibt es die Einzahl gar nicht, dafür 39 Colleges, die sich Jesus, Exeter, All Souls oder Magdalen nennen und über die englische Stadt verteilen, als seien sie mit dem Würfelbecher ausgeschüttet worden. Jedes College organisiert sich eigenständig und bietet ein breites Spektrum an Fächern, erzählt Ted East in bestem Oxford- Englisch. Als Zeremonienmeister und „Sheriff“ der Alma Mater hat er 50 Jahre lang Tradition, Sitte und Moral hochgehalten. Von Neuerungen hält er nichts: „Es macht keinen Sinn, Bewährtes zu ändern“, bescheidet East dem Besucher und denkt dabei an die Prozedur der Immatrikulation, die alle Colleges zusammen in der Aula des Sheldonian Theatre begehen. In genau festgelegter Zugordnung marschieren Professoren und Studenten zu Semesterbeginn in den klassisch-römischen Bau mitten in Oxford. Vorneweg die Wissenden, dahinter die Lernenden. Der Korso gibt verlässlich darüber Auskunft, wer es in der akademischen Hierarchie wie weit gebracht hat. Erstsemester müssen sich mit einem kurzen, schwarzen Talar begnügen, während ein Doktor der Philosophie einen langen, blauroten Umhang tragen darf. Seine Examensurkunde wird der heutige Neuling dann im langen, schwarzen Talar mit quadratischer Kopfbedeckung abholen.

„Wir schätzen Traditionen und empfinden es als Privileg, hier zu studieren“, sagt Ben Burch. Der Student im blauen Dinner-Jacket ist einer von 16.300 „Oxonians“, wie die Studenten hier heißen. Auf Ben ruhen große Hoffnungen. In seiner Funktion als Präsident des University Boat Clubs muss er das angeschlagene Ruderteam der Lehranstalt auf Vordermann bringen.

Beim 147. Vergleich im März vergangenen Jahres stieg die Konkurrenz wieder einmal als Sieger aus dem Boot. Damit steht es 77 zu 69 für Cambridge, ein Resultat, das die sonst so erfolgsverwöhnten Oxonians nicht auf sich sitzen lassen wollen. Jetzt wird allmorgendlich um sieben auf der Themse trainiert. Doch davon will Burch augenblicklich nichts wissen. Gemäß dem Motto „work hard, party hard“ genießt er die gepflegte Geselligkeit einer Studentenparty, zu der die Herren Jacketts tragen und die Damen Abendkleider. Zu trinken gibt es Champagner, der ausschließlich flaschenweise über den Tresen wandert.

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Das Lernpensum absolvieren die Oxonians überwiegend im Einzelunterricht. Jedem steht ein Professor als Tutor zu. Dieser befasst sich einmal wöchentlich eine Stunde nur mit seinem Schützling, für den das Zwiegespräch der wichtigste Teil im Studium ist. „Die Arbeit ist so intensiv, dass viele auf Vorlesungen ganz verzichten“, sagt Tom.

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Es ist Freitag und das Jesus College veranstaltet eine traditionelle guest night, bei der sich die Universität aufgeschlossen gibt. Die Professoren setzen sich wirkungsvoll mit schwarzen Talaren und in Begleitung einer eleganten Frau in Szene. Getafelt wird auf gepolsterten Ledersesseln am High Table, der lang gestreckt auf einer Bühne steht. Butler servieren Tournedos Rossini und Rotwein. Für die Studenten stehen eine Stufe tiefer Holzbänke bereit. Sie müssen ohne die Dienste eines Mundschenks auskommen und beim Menü Abstriche machen. Doch dabei sein ist alles, klingt in den Worten von Professor Fredric Taylor an. „Es ist die akademische Atmosphäre und der Reichtum an Stil und Tradition, die Oxford so besonders machen“, sagt der Physiker, der mit seinen Studenten an der nächsten Mars-Mission der Nasa mitarbeitet.

Auch Oscar Wilde machte aus seiner Begeisterung kein Hehl: „Diese Universität ist das Schönste, was England zu bieten hat“, schwärmte der irische Dichter und Oxford-Zögling. Wilde, so heißt es, wollte sich den Zeitaufwand des Studiums um keinen Preis anmerken lassen. So soll sich der Dandy heimlich in aller Herrgottsfrühe über seine Bücher gesetzt haben, um tagsüber das Genie vorzuschützen. Diese Wilde’sche Eigenart scheint heute noch verbreitet. „Unsere Studenten sind in jeder Hinsicht Überflieger“, verrät die Oxforderin Jenny. „Sie haben Stil und ein großes Ego, kaum einer lässt sich die Anstrengungen des Studiums anmerken.“

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Mit einem Oxford-Studium hat man es geschafft. „Die Welt erwartet uns mit offenen Armen“, sagt John, ein Wirtschaftsstudent. Statistiken geben ihm Recht: 97 Prozent aller Absolventen finden innerhalb von sechs Monaten nach ihrem Abschluss eine Arbeitsstelle. Aber nicht irgendeine. Nach der akademischen Weihe in Oxford hat es Indira Gandhi zur Premierministerin von Indien gebracht, Abdullah II. regiert heute als König das Volk in Jordanien und Tony Blair lässt sich die Politik Großbritanniens angelegen sein, so wie vor ihm schon 24 weitere hier geschulte britische Premierminister. Wer das harte Auswahlverfahren und die Hürden des Studiums hinter sich gelassen hat, gehört fast zwangsläufig zur internationalen Elite. Ob der Humanist Desiderius Erasmus, der Philosoph Thomas Hobbes, der Physiker Stephen Hawking oder der Literatur-Nobelpreisträger V. S. Naipaul – die Referenzliste der Universität liest sich wie ein Who’s Who der Weltgeschichte. Bis in die fünfziger Jahre entschieden nicht zuletzt Beziehungen und Geld bei der Vergabe von Studienplätzen. Seitdem soll allein die Leistung zählen. Der sicherste Weg nach Oxford ist nach wie vor der Besuch einer renommierten Privatschule.

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Zwischen den alten Mauern der Universität wird dieser Geist täglich neu geboren. Wer ihn sehen will, muss nur einen Blick in die konzentrierten Gesichter der Studenten werfen. Er muss ihnen folgen, wenn sie festen Schrittes durch die Straßen promenieren, sich an ihre Fersen heften, wenn sie durch die wurmstichigen Holzportale in einem der Colleges verschwinden.

Wenn man dabei nicht gerade der Studentin Chelsea Clinton nachstellt, gibt es auch keine Probleme mit deren Sicherheitskräften. Aber die wachsamen Männer fügen sich ohnehin diskret ins Stadtbild. Prominenz und Aristokratie sind in der Universitätsstadt Oxford jahrhundertealte Begleiterscheinungen.