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Text ERIKA THIMEL
Fotos GULLIVER THEIS
erschienen in PREMIUM
(int. Kundenmagazin von Jaguar,
Aston Martin, Land Rover und Volvo)
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OXFORD UNIVERSITY: SCHÖNE ALTE WELT
Es gibt kaum eine andere Stadt, deren Name so untrennbar mit Bildung und Erfolg verbunden ist,
wie Oxford. Wer an der weltweit ältesten englischsprachigen Universität studiert, gilt als
gemachter Mann, bzw. gemachte Frau. 25 britische Premierminister, 40 Nobelpreisträger, 85 Erzbischöfe, drei
Heilige und fünf Könige hat das mittelalterliche Wissens-Laboratorium hervorgebracht. In Oxford
herrscht ein besonderer Geist, sagen die, die dazugehören. Eine Entdeckungsreise.
Wer über Oxford spricht, meint
fast immer seine Universität.
Dabei gibt es die Einzahl gar nicht,
dafür 39 Colleges, die sich Jesus,
Exeter, All Souls oder Magdalen
nennen und über die englische
Stadt verteilen, als seien sie mit
dem Würfelbecher ausgeschüttet
worden. Jedes College organisiert
sich eigenständig und bietet ein
breites Spektrum an Fächern, erzählt Ted East in bestem Oxford-
Englisch. Als Zeremonienmeister
und „Sheriff“ der Alma Mater hat
er 50 Jahre lang Tradition, Sitte und
Moral hochgehalten. Von Neuerungen
hält er nichts: „Es macht
keinen Sinn, Bewährtes zu ändern“,
bescheidet East dem Besucher
und denkt dabei an die Prozedur
der Immatrikulation, die alle
Colleges zusammen in der Aula
des Sheldonian Theatre begehen.
In genau festgelegter Zugordnung
marschieren Professoren und Studenten
zu Semesterbeginn in den
klassisch-römischen Bau mitten in
Oxford. Vorneweg die Wissenden,
dahinter die Lernenden. Der Korso
gibt verlässlich darüber Auskunft,
wer es in der akademischen
Hierarchie wie weit gebracht hat.
Erstsemester müssen sich mit einem
kurzen, schwarzen Talar begnügen,
während ein Doktor der
Philosophie einen langen, blauroten
Umhang tragen darf. Seine
Examensurkunde wird der heutige
Neuling dann im langen, schwarzen
Talar mit quadratischer Kopfbedeckung
abholen.
„Wir schätzen Traditionen und
empfinden es als Privileg, hier zu
studieren“, sagt Ben Burch. Der
Student im blauen Dinner-Jacket
ist einer von 16.300 „Oxonians“,
wie die Studenten hier heißen. Auf
Ben ruhen große Hoffnungen. In
seiner Funktion als Präsident des
University Boat Clubs muss er das
angeschlagene Ruderteam der Lehranstalt
auf Vordermann bringen.
Beim 147. Vergleich im März vergangenen
Jahres stieg die Konkurrenz
wieder einmal als Sieger aus
dem Boot. Damit steht es 77 zu 69
für Cambridge, ein Resultat, das die
sonst so erfolgsverwöhnten Oxonians
nicht auf sich sitzen lassen
wollen. Jetzt wird allmorgendlich
um sieben auf der Themse trainiert.
Doch davon will Burch augenblicklich
nichts wissen. Gemäß dem
Motto „work hard, party hard“ genießt
er die gepflegte Geselligkeit
einer Studentenparty, zu der die
Herren Jacketts tragen und die Damen
Abendkleider. Zu trinken gibt
es Champagner, der ausschließlich
flaschenweise über den Tresen
wandert.
.....
Das Lernpensum absolvieren
die Oxonians überwiegend im
Einzelunterricht. Jedem steht ein
Professor als Tutor zu. Dieser befasst
sich einmal wöchentlich eine
Stunde nur mit seinem Schützling,
für den das Zwiegespräch der wichtigste
Teil im Studium ist. „Die Arbeit
ist so intensiv, dass viele auf Vorlesungen
ganz verzichten“, sagt Tom.
.....
Es ist Freitag und das Jesus College
veranstaltet eine traditionelle
guest night, bei der sich die Universität
aufgeschlossen gibt. Die Professoren setzen sich wirkungsvoll
mit schwarzen Talaren und in Begleitung
einer eleganten Frau in
Szene. Getafelt wird auf gepolsterten
Ledersesseln am High Table,
der lang gestreckt auf einer Bühne
steht. Butler servieren Tournedos
Rossini und Rotwein. Für die
Studenten stehen eine Stufe tiefer
Holzbänke bereit. Sie müssen ohne
die Dienste eines Mundschenks
auskommen und beim Menü Abstriche
machen. Doch dabei sein ist
alles, klingt in den Worten von Professor
Fredric Taylor an. „Es ist die
akademische Atmosphäre und der
Reichtum an Stil und Tradition, die
Oxford so besonders machen“, sagt
der Physiker, der mit seinen Studenten
an der nächsten Mars-Mission
der Nasa mitarbeitet.
Auch Oscar Wilde machte aus
seiner Begeisterung kein Hehl:
„Diese Universität ist das Schönste,
was England zu bieten hat“,
schwärmte der irische Dichter und
Oxford-Zögling. Wilde, so heißt
es, wollte sich den Zeitaufwand des
Studiums um keinen Preis anmerken
lassen. So soll sich der Dandy
heimlich in aller Herrgottsfrühe
über seine Bücher gesetzt haben,
um tagsüber das Genie vorzuschützen.
Diese Wilde’sche Eigenart
scheint heute noch verbreitet.
„Unsere Studenten sind in jeder
Hinsicht Überflieger“, verrät die
Oxforderin Jenny. „Sie haben Stil
und ein großes Ego, kaum einer
lässt sich die Anstrengungen des
Studiums anmerken.“
.....
Mit einem Oxford-Studium hat
man es geschafft. „Die Welt
erwartet uns mit offenen Armen“,
sagt John, ein Wirtschaftsstudent.
Statistiken geben ihm Recht: 97
Prozent aller Absolventen finden
innerhalb von sechs Monaten nach
ihrem Abschluss eine Arbeitsstelle.
Aber nicht irgendeine. Nach der
akademischen Weihe in Oxford hat
es Indira Gandhi zur Premierministerin
von Indien gebracht, Abdullah
II. regiert heute als König
das Volk in Jordanien und Tony
Blair lässt sich die Politik Großbritanniens angelegen sein, so wie
vor ihm schon 24 weitere hier geschulte
britische Premierminister.
Wer das harte Auswahlverfahren
und die Hürden des Studiums hinter
sich gelassen hat, gehört fast
zwangsläufig zur internationalen
Elite. Ob der Humanist Desiderius
Erasmus, der Philosoph Thomas
Hobbes, der Physiker Stephen
Hawking oder der Literatur-Nobelpreisträger
V. S. Naipaul – die
Referenzliste der Universität liest
sich wie ein Who’s Who der Weltgeschichte.
Bis in die fünfziger Jahre
entschieden nicht zuletzt Beziehungen
und Geld bei der Vergabe
von Studienplätzen. Seitdem soll
allein die Leistung zählen. Der sicherste
Weg nach Oxford ist nach
wie vor der Besuch einer renommierten
Privatschule.
.....
Zwischen den alten Mauern der
Universität wird dieser Geist täglich
neu geboren. Wer ihn sehen
will, muss nur einen Blick in die
konzentrierten Gesichter der Studenten
werfen. Er muss ihnen folgen,
wenn sie festen Schrittes durch
die Straßen promenieren, sich an
ihre Fersen heften, wenn sie durch
die wurmstichigen Holzportale in
einem der Colleges verschwinden.
Wenn man dabei nicht gerade
der Studentin Chelsea Clinton nachstellt,
gibt es auch keine Probleme
mit deren Sicherheitskräften. Aber
die wachsamen Männer fügen sich
ohnehin diskret ins Stadtbild. Prominenz
und Aristokratie sind in
der Universitätsstadt Oxford jahrhundertealte
Begleiterscheinungen.
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