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TextERIKA THIMEL
Illustration SIMONE RIEFKE
erschienen in PREMIUM
(int. Kundenmagazin von Jaguar,
Aston Martin, Land Rover und Volvo) |
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JAMES BOND: DIE WAHREN HELDEN
Pierce Brosnan alias James Bond rettet die Welt im Alleingang. Das ist
in Die Another Day, dem 20. Filmabenteuer des Agenten, auch so. Und
doch könnte Bond keine einzige Rakete zünden, wenn nicht ein Mann
namens Andy Smith wäre. Oder Peter Lamont, der 007 aufs Glatteis führt.
Oder der einjährige Paris Beckett, ohne den Bond vielleicht Kopf und
Kragen riskieren würde. Ein Blick hinter die Filmkulissen.
Vor den Toren Londons geht
die Welt unter. Begleitet von
heftigem Donnern drücken
gewaltige Wassermassen das Dach
eines glänzenden Palastes ein. Sekunden
später ist alles vorbei. Auf
dem Boden stehen tiefe Pfützen,
durch die hektische Menschen
in grünen Gummistiefeln waten.
Beißender Chlorgeruch liegt in
der Luft. „Ohne Chemikalien
würde das Wasser stinken, und
wir könnten es nicht wieder verwenden“,
sagt Sam.
Die junge Frau gehört zur
James-Bond-Crew in den englischen
Pinewood-Studios, wo das
neueste, das 20. Kinoabenteuer
entsteht. Für den guten Ausgang
von Bonds Mission in Die Another
Day ist Regisseur Lee Tamahori
verantwortlich, ein hagerer Mann
mit silbernen Haaren.
Auf sein Kommando stürzen
die Wasserlawinen vom Studiohimmel
und prasseln über eine
Kunststoff-Kulisse. Im Kino wird
sie aussehen wie ein echter Eispalast
– davon können sich Bond-Fans ab dem 22. November, dem
Tag der Premiere, überzeugen.
Tamahori kontrolliert den special
effect in der Mittagspause. „Hier
am Set zählt jede Minute“, sagt er,
„es bleibt ja kaum Zeit, um auf die
Toilette zu gehen.“
Seit Beginn der Dreharbeiten
im Januar 2002 bestimmt das
neue Bond-Skript Tamahoris Leben.
Um dem Workaholic trotzdem
nahe zu sein, haben ihn seine
Freundin und deren Sohn heute
zur Arbeit begleitet. Ein Glückstag
für den Jungen, denn ihm gelingt
außerdem noch, was für
Journalisten während der Dreharbeiten
fast unmöglich ist: ein
Gespräch mit dem smarten Geheimagenten.
Die beiden tauschen
sich über die kalifornische Heimat
des Schülers aus, und der Schauspieler
Pierce Brosnan beweist, wie
wenig die Privatperson Brosnan
von der coolen, ironischen Unnahbarkeit
seines Filmcharakters hat.
„Wir sind alle eine große Familie.
Pierce kennt jeden am Set mit
Vornamen, und nach Drehschluss
bringt er seinen Friseur mit ins
Pub“, erzählt der Produktionsdesigner
Peter Lamont auf dem
Weg zur täglichen Filmvorführung
mit Regisseur Tamahori.
Hauptdarsteller Brosnan indes
hat andere Pläne. Ehefrau Keely
wartet schon in dem geräumigen
Wohnmobil hinter dem Studio
und streckt ihrem Mann den gemeinsamen
Sohn entgegen: Paris
Beckett, ein Jahr alt. Brosnan alias
007 setzt sich hin und beginnt den
Kleinen zu füttern.
Eine unmögliche Situation –
zumindest für James Bond. Der
kann klaren Anweisungen seines
Schöpfers Ian Fleming entnehmen,
wie sich ein Agent Ihrer Majestät
zu verhalten hat: „Laden Sie
nie jemanden, schon gar keine
Frau, in Ihre Wohnung ein. Kochen
schadet Ihrem Image.“ Was
wohl der inzwischen verstorbene
Autor zum Bond-Mimen als fürsorglicher
Vater gesagt hätte?
Imponiert hätte Fleming aber
sicher Brosnans Frau, die durch
die Anwesenheit des Kindes ihrem
Gatten bedeutet: „Liebling,
zügle deinen Ehrgeiz bei den
Stunt-Szenen!“ Stuntchef Georg
Aguilar sagt: „Pierce geht immer
so weit wie möglich. Manchmal
muss ich sagen: Das ist keine gute
Idee – und trotzdem macht er es.“
Aguilars Bewunderung mischt
sich mit Sorge. Erst vor wenigen
Wochen musste 007 am Knie behandelt
werden.
Bei einer „Action-Szene mit
viel Wasser“, so heißt es, ist mehr
kaputt gegangen als die üblichen
10 bis 15 Brioni-Maßanzüge, die
ein Stunt gewöhnlich als Tribut
fordert. Die Verletzung jedenfalls
setzte den Schauspieler vorübergehend
außer Gefecht und erhöht
jetzt den Zeitdruck für das gummigestiefelte
Team in den Pinewood-
Studios.
Auch Brosnans Filmpartnerin,
die Oscar-Gewinnerin Halle Berry,
ist noch einmal glimpflich davon
gekommen: Eine der Szenen ist
ins Auge gegangen – und zwar in
ihres. Schuld daran war eine Explosion.
Doch das Bondgirl konnte
nach einem Arztbesuch Entwarnung
geben: „Nichts passiert,
ich habe nur etwas viel Staub in
die Augen bekommen.“
Nach Dreharbeiten auf Island,
Hawaii, in Spanien und Großbritannien
hält sich die Crew nun in
den riesigen Hallen der Filmstadt
auf. Oft bleibt keine andere Wahl.
Zum Beispiel, wenn es um Szenen
geht, die in Hongkong spielen.
Der logistische Aufwand wäre für
Aufnahmen vor Ort zu groß oder
– wie im Fall der Sequenzen in der
Militärzone zwischen Nord- und
Südkorea – sogar unmöglich.
Auch für Kuba suchte man Ersatz
und wurde in Südspanien fündig.
Die wahren Filmhelden bewegen
sich meist hinter den
Kulissen. Wenn Bond die
Welt vor dem obligatorischen
Schurken rettet – diesmal droht er
der Welt mit dem biologischen
Supergau –, haben andere das Universum
von 007 längst in Sicherheit
gebracht. Männer wie Nick
Finlayson etwa oder Andy Smith,
auch wenn sie auf den ersten Blick
gar nicht in das Umfeld des Kosmopoliten
Bond passen wollen.
Sie tragen Sweatshirts zu öligen
Jeans und greifen wahrscheinlich
lieber zu Bier als zu Martini „shaken
not stirred“. In Maßen, versteht
sich, denn in den Händen der
beiden Männer liegt das Leben
des fünften Bond nach Sean Connery.
Nick und Andy statten als
leitende special effects-Techniker
den Aston Martin V12 Vanquish
des Agenten aus. Eine Mission,
die ihnen Wunder abverlangt.
„Wir hatten exakt zwölf Wochen,
um aus vier Aston Martin
und vier Jaguar Bondmobile mit
allen Schikanen zu machen“, sagt
Nick. Und Andy ergänzt: „Wir
mussten die Fahrzeuge buchstäblich
bis auf die Knochen auseinander
nehmen, um Platz für einen
Vierrad-Antrieb zu schaffen.“
Stuntmen haben die Fahrzeuge
bei einer der spektakulärsten
Szenen des Films
gelenkt: Im Aston Martin kämpft
James Bond auf einem zugefrorenen
See gegen seinen Kontrahenten
im Jaguar auf Leben und Tod.
Dessen Fahrer feuert Maschinengewehrsalven
und Raketen ab.
Projektile fliegen übers Eis, der
Aston Martin beginnt zu schlingern,
fängt sich und schießt zurück
– dank Andy Smith.
Er hat die Waffen installiert und
weiß, wer die besseren Karten
beim Duell auf spiegelglatter Fläche
hat. „Der Böse hat immer
mehr Instrumente als der Gute
zur Verfügung.“ Diese nutzen
ihm aber nur, wenn der Techniker
im entscheidenden Moment auf
den richtigen Knopf drückt.
Die Gewehre, Sprengköpfe
und Raketen in den Fahrzeugen
werden ferngesteuert. Druckluft
katapultiert sie ins Bild. Andy
bedient den Schaltkasten. Dabei
kann es passieren, dass ein
Sprengsatz auf dem Kopf eines
Kameramannes landet. Doch der
kommt mit dem Schrecken davon,
schließlich sind die Raketen aus
Gummi. Und die Feuerschweife
und Explosionen, die das Kinopublikum
sehen wird, entstehen
meist am Computer.
„Natürlich könnten wir wieder
pyrotechnische Raketen abfeuern,
wie in Tomorrow Never Dies,
aber die verursachen zu viel
Rauch“, sagt Smith. Der Zuschauer
soll freie Sicht auf das
Geschehen haben. Wie bei allen
James-Bond-Filmen gilt aber auch
dieses Mal die Devise: „Fantasie
so realistisch wie möglich.“
Dieser Anspruch ist nicht ungefährlich.
Andys Chef, Chris Corbould,
bekommt Herzklopfen,
wenn er an die Action-Szene auf
dem Eis zurückdenkt. Seine Jungs
hatten an alles gedacht, die Fahrzeuge
waren mit Luftkissen ausgerüstet,
die Stuntmen trugen Überlebens-
Anzüge. Langsam rollten
die Wagen auf die Eisdecke. „Es
war ein nervenzerreißender Moment“,
schaudert Corbould, „jedem
war klar, dass die Fahrt auch
auf dem Boden des Sees enden
könnte.“ Doch das Eis hielt. Bond
überlebte auch dieses Wagnis.
„Bond ist ein Mysterium“,
schwärmt Lamont, der Produktionsdesigner.
Er kennt den Agenten
besser als jeder andere,
immerhin dreht er den 17. Film
mit ihm. Nur bei Tomorrow Never
Dies pausierte Peter Lamont, weil
er den Ozeanriesen für den Film
Titanic nachbauen musste. Der
Gewinn des Oscars wird ihn
schadlos gehalten haben.
Lamont weiß: „Nur wer seine
Arbeit liebt, übersteht einen Arbeitstag
bei James Bond.“ Es sei
denn, man ist Madonna. Sie singt
den Titelsong und hat eine Gastrolle.
Das erlaubt ihr, am Spätnachmittag
in einer verdunkelten
Limousine vorzufahren, um den
Eispalast zu bewundern.
Für Lamont und das Team beginnt
der Arbeitstag bereits um
halb acht Uhr morgens. Das Frühstück
ist zugleich die erste Besprechung.
Regisseur Tamahori stößt
eine halbe Stunde später dazu und
gibt letzte Änderungswünsche
für die Kulissen bekannt. „Er ist
der Kapitän des Schiffs, mein Job
ist es, dafür zu sorgen, dass das
Schiff ordentlich segelt“, sagt Lamont
zur Rollenverteilung.
Halb zehn kommen die
Schauspieler und proben
die ersten Szenen. Pierce
Brosnan und Halle Berry verschwinden in
die Maske. Währenddessen
ersetzen Mitarbeiter vom
Set die Stars, damit der Kameramann
die Beleuchtung einstellen
kann. Dann wird es ernst: Bond
erscheint. In wenigen Sekunden
wird sein trockener Humor mit
viel Wasser konfrontiert. Vor den
Toren Londons geht die Welt unter.
Nach ein paar Sekunden ist alles
vorbei. Tamahori ruft: „Nochmal!“
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