JAMES BOND: DIE WAHREN HELDEN

Pierce Brosnan alias James Bond rettet die Welt im Alleingang. Das ist in Die Another Day, dem 20. Filmabenteuer des Agenten, auch so. Und doch könnte Bond keine einzige Rakete zünden, wenn nicht ein Mann namens Andy Smith wäre. Oder Peter Lamont, der 007 aufs Glatteis führt. Oder der einjährige Paris Beckett, ohne den Bond vielleicht Kopf und Kragen riskieren würde. Ein Blick hinter die Filmkulissen.

Vor den Toren Londons geht die Welt unter. Begleitet von heftigem Donnern drücken gewaltige Wassermassen das Dach eines glänzenden Palastes ein. Sekunden später ist alles vorbei. Auf dem Boden stehen tiefe Pfützen, durch die hektische Menschen in grünen Gummistiefeln waten. Beißender Chlorgeruch liegt in der Luft. „Ohne Chemikalien würde das Wasser stinken, und wir könnten es nicht wieder verwenden“, sagt Sam.
Die junge Frau gehört zur James-Bond-Crew in den englischen Pinewood-Studios, wo das neueste, das 20. Kinoabenteuer entsteht. Für den guten Ausgang von Bonds Mission in Die Another Day ist Regisseur Lee Tamahori verantwortlich, ein hagerer Mann mit silbernen Haaren.
Auf sein Kommando stürzen die Wasserlawinen vom Studiohimmel und prasseln über eine Kunststoff-Kulisse. Im Kino wird sie aussehen wie ein echter Eispalast – davon können sich Bond-Fans ab dem 22. November, dem Tag der Premiere, überzeugen. Tamahori kontrolliert den special effect in der Mittagspause. „Hier am Set zählt jede Minute“, sagt er, „es bleibt ja kaum Zeit, um auf die Toilette zu gehen.“

Seit Beginn der Dreharbeiten im Januar 2002 bestimmt das neue Bond-Skript Tamahoris Leben. Um dem Workaholic trotzdem nahe zu sein, haben ihn seine Freundin und deren Sohn heute zur Arbeit begleitet. Ein Glückstag für den Jungen, denn ihm gelingt außerdem noch, was für Journalisten während der Dreharbeiten fast unmöglich ist: ein Gespräch mit dem smarten Geheimagenten. Die beiden tauschen sich über die kalifornische Heimat des Schülers aus, und der Schauspieler Pierce Brosnan beweist, wie wenig die Privatperson Brosnan von der coolen, ironischen Unnahbarkeit seines Filmcharakters hat.

„Wir sind alle eine große Familie. Pierce kennt jeden am Set mit Vornamen, und nach Drehschluss bringt er seinen Friseur mit ins Pub“, erzählt der Produktionsdesigner Peter Lamont auf dem Weg zur täglichen Filmvorführung mit Regisseur Tamahori. Hauptdarsteller Brosnan indes hat andere Pläne. Ehefrau Keely wartet schon in dem geräumigen Wohnmobil hinter dem Studio und streckt ihrem Mann den gemeinsamen Sohn entgegen: Paris Beckett, ein Jahr alt. Brosnan alias 007 setzt sich hin und beginnt den Kleinen zu füttern.
Eine unmögliche Situation – zumindest für James Bond. Der kann klaren Anweisungen seines Schöpfers Ian Fleming entnehmen, wie sich ein Agent Ihrer Majestät zu verhalten hat: „Laden Sie nie jemanden, schon gar keine Frau, in Ihre Wohnung ein. Kochen schadet Ihrem Image.“ Was wohl der inzwischen verstorbene Autor zum Bond-Mimen als fürsorglicher Vater gesagt hätte?

Imponiert hätte Fleming aber sicher Brosnans Frau, die durch die Anwesenheit des Kindes ihrem Gatten bedeutet: „Liebling, zügle deinen Ehrgeiz bei den Stunt-Szenen!“ Stuntchef Georg Aguilar sagt: „Pierce geht immer so weit wie möglich. Manchmal muss ich sagen: Das ist keine gute Idee – und trotzdem macht er es.“ Aguilars Bewunderung mischt sich mit Sorge. Erst vor wenigen Wochen musste 007 am Knie behandelt werden.
Bei einer „Action-Szene mit viel Wasser“, so heißt es, ist mehr kaputt gegangen als die üblichen 10 bis 15 Brioni-Maßanzüge, die ein Stunt gewöhnlich als Tribut fordert. Die Verletzung jedenfalls setzte den Schauspieler vorübergehend außer Gefecht und erhöht jetzt den Zeitdruck für das gummigestiefelte Team in den Pinewood- Studios.
Auch Brosnans Filmpartnerin, die Oscar-Gewinnerin Halle Berry, ist noch einmal glimpflich davon gekommen: Eine der Szenen ist ins Auge gegangen – und zwar in ihres. Schuld daran war eine Explosion. Doch das Bondgirl konnte nach einem Arztbesuch Entwarnung geben: „Nichts passiert, ich habe nur etwas viel Staub in die Augen bekommen.“

Nach Dreharbeiten auf Island, Hawaii, in Spanien und Großbritannien hält sich die Crew nun in den riesigen Hallen der Filmstadt auf. Oft bleibt keine andere Wahl. Zum Beispiel, wenn es um Szenen geht, die in Hongkong spielen. Der logistische Aufwand wäre für Aufnahmen vor Ort zu groß oder – wie im Fall der Sequenzen in der Militärzone zwischen Nord- und Südkorea – sogar unmöglich. Auch für Kuba suchte man Ersatz und wurde in Südspanien fündig.

Die wahren Filmhelden bewegen sich meist hinter den Kulissen. Wenn Bond die Welt vor dem obligatorischen Schurken rettet – diesmal droht er der Welt mit dem biologischen Supergau –, haben andere das Universum von 007 längst in Sicherheit gebracht. Männer wie Nick Finlayson etwa oder Andy Smith, auch wenn sie auf den ersten Blick gar nicht in das Umfeld des Kosmopoliten Bond passen wollen. Sie tragen Sweatshirts zu öligen Jeans und greifen wahrscheinlich lieber zu Bier als zu Martini „shaken not stirred“. In Maßen, versteht sich, denn in den Händen der beiden Männer liegt das Leben des fünften Bond nach Sean Connery. Nick und Andy statten als leitende special effects-Techniker den Aston Martin V12 Vanquish des Agenten aus. Eine Mission, die ihnen Wunder abverlangt.
„Wir hatten exakt zwölf Wochen, um aus vier Aston Martin und vier Jaguar Bondmobile mit allen Schikanen zu machen“, sagt Nick. Und Andy ergänzt: „Wir mussten die Fahrzeuge buchstäblich bis auf die Knochen auseinander nehmen, um Platz für einen Vierrad-Antrieb zu schaffen.“

Stuntmen haben die Fahrzeuge bei einer der spektakulärsten Szenen des Films gelenkt: Im Aston Martin kämpft James Bond auf einem zugefrorenen See gegen seinen Kontrahenten im Jaguar auf Leben und Tod. Dessen Fahrer feuert Maschinengewehrsalven und Raketen ab. Projektile fliegen übers Eis, der Aston Martin beginnt zu schlingern, fängt sich und schießt zurück – dank Andy Smith. Er hat die Waffen installiert und weiß, wer die besseren Karten beim Duell auf spiegelglatter Fläche hat. „Der Böse hat immer mehr Instrumente als der Gute zur Verfügung.“ Diese nutzen ihm aber nur, wenn der Techniker im entscheidenden Moment auf den richtigen Knopf drückt.

Die Gewehre, Sprengköpfe und Raketen in den Fahrzeugen werden ferngesteuert. Druckluft katapultiert sie ins Bild. Andy bedient den Schaltkasten. Dabei kann es passieren, dass ein Sprengsatz auf dem Kopf eines Kameramannes landet. Doch der kommt mit dem Schrecken davon, schließlich sind die Raketen aus Gummi. Und die Feuerschweife und Explosionen, die das Kinopublikum sehen wird, entstehen meist am Computer. „Natürlich könnten wir wieder pyrotechnische Raketen abfeuern, wie in Tomorrow Never Dies, aber die verursachen zu viel Rauch“, sagt Smith. Der Zuschauer soll freie Sicht auf das Geschehen haben. Wie bei allen James-Bond-Filmen gilt aber auch dieses Mal die Devise: „Fantasie so realistisch wie möglich.“
Dieser Anspruch ist nicht ungefährlich. Andys Chef, Chris Corbould, bekommt Herzklopfen, wenn er an die Action-Szene auf dem Eis zurückdenkt. Seine Jungs hatten an alles gedacht, die Fahrzeuge waren mit Luftkissen ausgerüstet, die Stuntmen trugen Überlebens- Anzüge. Langsam rollten die Wagen auf die Eisdecke. „Es war ein nervenzerreißender Moment“, schaudert Corbould, „jedem war klar, dass die Fahrt auch auf dem Boden des Sees enden könnte.“ Doch das Eis hielt. Bond überlebte auch dieses Wagnis.
„Bond ist ein Mysterium“, schwärmt Lamont, der Produktionsdesigner. Er kennt den Agenten besser als jeder andere, immerhin dreht er den 17. Film mit ihm. Nur bei Tomorrow Never Dies pausierte Peter Lamont, weil er den Ozeanriesen für den Film Titanic nachbauen musste. Der Gewinn des Oscars wird ihn schadlos gehalten haben.
Lamont weiß: „Nur wer seine Arbeit liebt, übersteht einen Arbeitstag bei James Bond.“ Es sei denn, man ist Madonna. Sie singt den Titelsong und hat eine Gastrolle. Das erlaubt ihr, am Spätnachmittag in einer verdunkelten Limousine vorzufahren, um den Eispalast zu bewundern.
Für Lamont und das Team beginnt der Arbeitstag bereits um halb acht Uhr morgens. Das Frühstück ist zugleich die erste Besprechung. Regisseur Tamahori stößt eine halbe Stunde später dazu und gibt letzte Änderungswünsche für die Kulissen bekannt. „Er ist der Kapitän des Schiffs, mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass das Schiff ordentlich segelt“, sagt Lamont zur Rollenverteilung.

Halb zehn kommen die Schauspieler und proben die ersten Szenen. Pierce Brosnan und Halle Berry verschwinden in die Maske. Währenddessen ersetzen Mitarbeiter vom Set die Stars, damit der Kameramann die Beleuchtung einstellen kann. Dann wird es ernst: Bond erscheint. In wenigen Sekunden wird sein trockener Humor mit viel Wasser konfrontiert. Vor den Toren Londons geht die Welt unter. Nach ein paar Sekunden ist alles vorbei. Tamahori ruft: „Nochmal!“