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Interview ERIKA THIMEL
Foto pixelio GERD ALTMANN, JOHANNES HÖNTSCH
erschienen in MADAME |
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GEFÜHL UND VERSTAND
Der Sinnlichkeit auf der Spur. Bei DaimlerChrysler erforschen Psychologen die Emotionen ihrer Kunden. Sie haben erkannt: Beim Autokauf entscheidet Liebe auf den ersten Blick, den ersten Ton und die erste Berührung.
Gefühle sind kein mysteriöses Geheimnis. Gefühle sind Fakten. Sie sind messbar, sichtbar und spürbar. Zumindest für DaimlerChrysler. Der Fahrzeughersteller lässt Emotionen und Gedanken potenzieller Kunden analysieren - von Neurologen der Ulmer Uniklinik und im hauseigenen hypermodernen Forschungszentrum, dem Customer Research Center in Berlin Marienfelde. Aktuell laufen rund 50 Studien parallel. Überraschungen inklusive.
„Wir wollten wissen, welche Hirnzentren von attraktiven, emotionalen Fahrzeugen wie Mercedes SL oder Porsche angesprochen werden“, sagt Dr. Götz Renner. Er leitet bei DaimlerChrysler die Abteilung „Akzeptanz- und Verhaltensanalyse“. Das erstaunliche Ergebnis: Unsere Hirnzellen reagieren im selben Bereich auf Sportwagen, in dem sie auf Sex oder den genussvollen Verzehr von Schokolade antworten. „Dabei dachten wir, bestimmte Regionen in unseren Hirnen reagieren vorrangig auf Urreize wie sexuelle Attraktivität oder Nahrungsaufnahme. Jetzt haben wir erkannt, dass diese Zellen durchaus auch auf kulturell gelernte Objekte wie ein Auto ansprechen“, so der Wissenschaftler.
Sportwagen werden mit Erfolg assoziiert, aber auch mit überzogenem Statusdenken und Arroganz. Dagegen kann ein Kleinwagen durchaus attraktiv wirken, wenn er beim Betrachter schöne Erinnerungen weckt. Wer sein erstes Liebesglück in einem VW Käfer erlebt hat, wird mit diesem Wagen Zeit seines Lebens Positives verbinden. Generell gilt allerdings: Ein schnittiger Sportwagen löst – vergleichbar mit einem durchtrainierten attraktiven Körper - bei den meisten Menschen Gefühle von Lust und Begehren aus. Es geht um Urinstinkte. Und gerade deshalb gestaltet sich die Arbeit der Forscher kompliziert: Existenzielle Triebe können wiederum einen Mann mit Familienkutsche in den Augen einer bindungswilligen Frau durchaus attraktiver erscheinen lassen als einen Porschefahrer.
Dieses Wissen ist eine Marktmacht und aus Wettbewerbsgründen wird es gehütet wie ein Schatz. Selbst das offene Geheimnis, dass Frauen auf Autos anderes regieren als Männer läuft unter „streng vertraulich“. Etwas lassen die Hirnprofis im Dienste von Mercedes trotzdem noch durchsickern: Männliche Testpersonen orientieren sich in einem Labyrinth anders als weibliche. Während die Herren versuchen, in ihrem Kopf eine Karte der Irrwege zu erstellen, orientieren sich die Damen an markanten Umgebungspunkten – sogenannten Landmarken. Eine Erkenntnis, die wichtig ist für die Konstruktion von Navigationssystemen. Sie spricht dafür, auf deren Displays unterschiedliche Bildinformationen anzubieten – etwa Straßenkarten für „Karten-Liebhaber“ und Fotos für die „Landmarken-Leser“.
Diese Erkenntnisse verbinden die DaimlerChrysler-Forscher mit ihren Erfahrungen aus den Berliner High-Tech-Laboren. In einem alten Industriegebäude in Marienfelde verbirgt sich hinter einer roten Ziegelsteinfassade modernste Wissenschaft. In der ersten Etage haben die Spezialisten ihre Untersuchungslabors eingerichtet. Unter anderem werden haptische, optische und akustische Sinnesreize erforscht. Im Moment beobachten Renners Leute eine Probandin im Haptiklabor. Ihre Aufgabe: Sie befühlt einen Schaltknüppel und soll dabei die entscheidenden Fragen beantworten: Behagt ihr die Form? Schmeichelt das Material ihrer Haut? „Das Design fühlt sich gut an, aber der Kunststoff erinnert mich an Plastik“. Eine Information, die die Forscher dankbar aufnehmen. Umso mehr, als der Eindruck von einer Frau stammt. Das weibliche Urteil gilt als sensibler und klarer, wenn es um Empfindungen geht.
So individuell Gefühle sind, so sehr gelten bestimmte Wahrnehmungs-Grundsätze: „Sie kommen aus der Gestaltpsychologie und manches finden sie sogar im Feng Shui wieder“, erklärt Renner. „Menschen mögen beispielsweise keine besonders spitzen hervorstehenden Sachen, die bedrohlich wirken können.“ Design-Untersuchungen bestätigen die Ergebnisse aus den DaimlerChrysler-Laboren: Menschen fühlen sich von runden Formen, die eine Harmonie ausstrahlen, angezogen. Ein spitzer Schaltknüppel wäre undenkbar, aber welche organische Gestalt als ideal wahrgenommen wird, entscheiden oft Nuancen und die richtige Kombination von Design und Material. „Optik und Haptik müssen einhergehen und es muss eine gewisse Materialehrlichkeit da sein. Das heißt: Wenn etwas nach Metall aussieht, muss es sich auch wie Metall anfühlen“, kommentiert Renner die Studien.
Die angestrebte Harmonie zwischen sehen und fühlen soll der Klang ergänzen. Im Akustiklabor spielt Renners Team Testpersonen Geräusche vor. Ein Ton bewegt sich einen kurzen Moment lang durch den Raum. Es ist ein hoher Klang, der dennoch eine Idee von Tiefe in sich trägt. Im realen Leben gehört er zu einem Schalter, der beispielsweise die Lüftung in Gang setzt. Die Psychologen um Renner wollen wissen, welcher Sound passend klingt und Vertrauen in die damit verbundene Funktion schafft. Im Labor wechseln jetzt die Geräusche von hohen Tonlagen zu tieferen. Letztere werden im allgemeinen als angenehmer empfunden, ihre hellen Gegenklänge dagegen als leichter und fröhlicher.
Autofahren ist Psychologie – daran zweifelt in der Branche niemand mehr. Ob das Mercedes-Cabrio oder der Konkurrent aus München gekauft wird entscheidet letztendlich nicht der Intellekt, sondern die Emotion. Ein Grund: „Es gibt eine Werteverschiebung hin zu Schönheit und Sinnlichkeit. Technik differenziert Autos aus Kundensicht nicht mehr besonders. Sie wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Dafür hat die Attraktivität eines Fahrzeugs an Bedeutung gewonnen. Es zählt der sogenannte Bauchfaktor“, sagt Dr. Renner. Zudem empfindet jeder Mensch ein Auto und dessen Sinnesreize auf sehr individuelle Weise. Was der eine als Optimum betrachtet, ist für den anderen bestenfalls akzeptable Minimalausstattung.
Abschließend stellt Dr. Renner klar: „Frauen sind ohnehin weniger technikverliebt, sie haben einen ganz klaren rationalen Anspruch: Sie wollen ganz einfach, dass die Technik funktioniert.“ Darüber hinaus sind sie unabhängiger im Geist und in der Psyche. Während ein Mann mit einem Fahrzeug gerne seinen Status unterstreicht, überlegen Frauen, wofür sie ihr Auto einsetzen wollen. Soll es auch für sie dem Image dienen - dann entscheiden sie dies bewusst und konsequent. Autos sind Gefühlssache, kein Zweifel, aber Fahrerinnen befragen im entscheidenden Moment ihren Kopf.
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